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Vor der ORF-Reform: Regierungsberater Gerd Bacher (li.) mit Medienstaatssekretär Franz Morak.

Foto: Reuters/Herwig Prammer

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Nach der ORF-Reform: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, hier ausnahmsweise gleich hinter der Kamera.

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"Quotenwahn kurieren": Tief enttäuscht von der Wirkung des neuen ORF-Gesetzes zeigt sich Gerd Bacher, längstdienender Generalintendant und zuletzt Regierungsberater in ORF-Fragen. Die Anstalt steuere dennoch "selbstmörderischen" Quotenkurs. Ein neues ORF-Gesetz solle "den Quotenwahn kurieren". Was Bund und Länder derzeit auf die Rundfunkgebühren aufschlagen, müsse direkt dem ORF zukommen. Im Gegenzug sei ein Großteil der Werbung zu streichen. Zeitungskonzentration wie in Österreich gebe es "nur bei uns in Bagdad", sagte Bacher zudem in dem Vortrag.

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"Nirgendwo anders in zivilisierten Demokratien gibt es derartige Zeitungskonzentrationen mit vergleichbaren mafiosen Zuständen, ebenso offenkundige wie ungestörte Kartelle, publizistische Machtkonzentrationen. Das alles verpackt in die landesübliche unappetitliche Haberei von Politik, Banken und Medienbossen." Ermöglicht hat das laut Bacher kaum stattfindende Medienpolitik, sagte er bei der Verleihung eines Ehrenkreuzes an "Presse"-Chefredakteur Andreas Unterberger: "Ihre Ausübenden waren und sind oft ahnungslos, feig und/oder korrupt."

"Solche Zustände wären in einer rechtsstaatlichen Demokratie mit einem Kartellgesetz, das diesen Namen verdient, unmöglich." Nach der "Elefantenhochzeit" von Krone und Kurier habe ein "absurd zusammengesetztes Kartellgericht den Zusammenschluss aller ins Gewicht fallenden politischen Magazine Österreichs und ihre Verschränkung mit der Mediaprint" abgesegnet: "Das gibt's nur bei uns in Bagdad."

Ihm sei "mit Ausnahme von Berlusconis Italien kein europäisches Land bekannt, in dem es derartige publizistische Machtblöcke gibt."

"Gesetz geschwänzt"

"Apokryph" nennt Bacher die jüngste Rundfunkreform. "Greuelpropaganda" waren "Horrorszenarien", das Gesetz koste den ORF massiv Werbeumsatz. Es gebe die doppelte TV-Werbezeit seiner letzten ORF-Amtsperiode.

Die "ideellen Hauptziele" des neuen Gesetzes waren:

  • "prinzipielle Stärkung des öffentlich-rechtlichen Charakters durch anspruchsvollere Programme, Abkehr von nur quotenorientierter Programmphilosophie;"
  • "strikte Selbständigkeit des ORF gegenüber politischen, wirtschaftlichen und medialen Pressuregroups. Der ORF als Korrektiv, nicht Komplize der Pressekonzentration."

Allein, so Bacher: "Wenig davon wurde in diesem ersten Jahr des neuen Rundfunkregimes versucht, geschweige denn verwirklicht. Man hat den Eindruck, als würde das neue Gesetz von der Geschäftsführung wie vom angeblich aufsichtsführenden Stiftungsrat geschwänzt."

"Programmanstrengungen sind mit Ausnahme des aktuellen Dienstes vornehmlich in Quotenrevieren erfolgt, dem ORF ist gelungen, die Kulturszene massiv gegen sich aufzubringen. Rundfunkorchester und Auslandsdienst auf Kurzwelle werden infrage gestellt. Der ORF befindet sich nach wie vor auf jenem selbstmörderischen Programmkurs, der sein Gebührenprivileg infrage stellt."

Boulevard treibt

Die "interessanteste Diagnose" zur jüngsten Programmreform fand Bacher in "tv-media", das er "Leibblatt der ORF-Führung" nennt und so zitiert: "Mit der Absicht der Regierung, den Österreichern mehr Bildung, Kunst und Kultur zu verpassen ... hat das nichts zu tun, nein, die Regierung hat sich nicht darüber aufgeregt, dass Lindners ORF-Neu mit dem Geist des ORF- Gesetzes nur das Notwendigste zu tun hat."

"Seine unersetzliche Funktion als Zentralanstalt österreichischer Identität kann der ORF mit der Quotenphilosophie nicht erfüllen. Selbstverständlich soll der ORF soviel Publikum wie möglich ansprechen, aber nicht mit jedem Mittel. Der Boulevard und die Werbewirtschaft, die gegen qualitätsvollere Programme schon bei der Gesetzesdiskussion protestierten, weil diese angeblich den Quoten schadeten, treiben die Medienpolitik und den ORF vor sich her."

Die europäische Medienszene zeige: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk sei im Gegensatz zu kommerziellem nur möglich, finanziert er sich vorwiegend aus Gebühren und "zum deutlich kleineren Teil" aus Werbung.

Werbezeit kappen

"Den Quotenwahn sollte ein neues Gesetz kurieren: Der ORF verzichtet auf einen beträchtlichen Teil seiner gesetzlichen Werbezeit. Als Kompensation dafür zahlt der Bund - wie im übrigen Europa auch - die von ihm ausgesprochenen Gebührenbefreiungen. Ferner verzichten Bund und Länder zugunsten des ORF auf jenes Drittel der Gesamtgebühren, das sie bis zur Stunde kassieren. Diese Regelung brächte drei Vorteile auf einen Schlag:

  • Der ORF wäre ausreichend finanziert, ohne total von Werbung abhängig zu sein,
  • das Publikum würde nicht zusätzlich belastet, aber vom Werbeüberdruss befreit,
  • Privatfernsehen hätte durch die beim ORF freigewordenen Werbeeinnahmen endlich eine reale Existenzchance."

"In einem Aufwaschen" fordert Bacher, "gesetzlich weitere Abschlankungen zu verfügen", etwa die Mitgliederzahl der ORF-Gremien stark zu reduzieren. (fid/DER STANDARD, Printausgabe, 5.12.2002)