London - Einen Tag vor der mit Spannung erwarteten Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat die Aussicht auf eine bevorstehende Zinssenkung dem Euro zu Kursgewinnen über die Parität zum Dollar verholfen. Die Erwartung einer Reduktion der Leitzinsen in der Eurozone um bis zu 50 Basispunkte beflügelte laut Händlern die Gemeinschaftswährung. Trotz schwacher deutscher Daten zum Einzelhandel und zum Arbeitsmarkt stieg der Euro am Mittwoch bis auf 1,0024 Dollar. Am Vorabend hatte die Gemeinschaftswährung in New York bei 0,9970 Dollar geschlossen. Zinssenkung vorweggenommen Der europäische Geldmarkt hat die erwartete Zinssenkung faktisch schon vorweggenommen. Am Mittwoch wurde täglich fälliges Geld zu Preisen um 3,00 Prozent nach 3,25 Prozent am Dienstagmittag gehandelt. Analysten erwarten mehrheitlich, dass der Leitzinssatz von derzeit 3,25 Prozent um 50 Basispunkte reduziert wird. Die Zinsen in der Eurozone sind seit November 2001 unverändert bei 3,25 Prozent geblieben. Eine Zinssenkung der EZB wird laut Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) die Unternehmen nicht dazu bringen, mehr zu investieren und mehr Arbeitskräfte einzustellen. Zudem berge die Zinssenkung die Gefahr, dass sie von der Politik den Druck nehme, notwendige Reformen einzuleiten, sagte BDI-Zinsexperte Reinhard Kudiß. Psychologisches Signal Bei den deutschen Unternehmen seien die Finanzierungskosten für Investitionen nicht das Hauptproblem. "Im Verhältnis zu den Kosten für Löhne und Gehälter ist das von nachrangiger Bedeutung", sagte Kudiß der Berliner Zeitung . Eine Zinssenkung sei in erster Linie ein psychologisches Signal, weil das Vertrauen der Investoren auf einem Tiefpunkt angelangt sei.

Die Geldpolitik könne aber nicht die Versäumnisse der Politik nachholen. Fatal wäre die Meinung der Politik, mit einer Zinssenkung sei alles getan. (AFP, Reuters, DER STANDARD, Printausgabe 5.12.2002)