Foto: C.S.
N. weiß, dass er sich von der allgemeinen Weihnachtshysterie nicht anstecken lassen wird. Er wird alles, was mit Weihnachten zu tun hat, großräumig umschiffen und erleichtert aufatmen, wenn die letzten Girlanden wieder verschwunden sein werden. Lästig sind nur der Einkaufsrummel, der die großen Verkehrsadern der Stadt verstopft und zu regelmäßigen Infarkten führt, und der Punschnebel, der wie eine schwere Wolke über dem Monat Dezember liegt und die Menschen steuerungslos über die Fahrbahn taumeln lässt. N. verlässt die Innenstadt und fährt in Richtung Außenbezirke. Er wird seine Erledigungen an diesem Freitagnachmittag - er ist ja nicht verrückt - garantiert nicht auf der größten Einkaufsstraße der Stadt machen, wo ihm billig kostümierte Weihnachtsmänner den Weg versperren und Technoversionen von "Jingle Bells" das Leben zur Hölle machen. Es ist schon dunkel geworden, als N. durch die engen Gassen der Vorstadt fährt, um einen Parkplatz zu suchen. Hier draußen fällt die Dekoration nicht so üppig aus, ein paar Lichterketten erhellen staubige Auslagen. Blasse Christbaumkugeln und Tannenzweige aus Plastik liegen im Schaufenster eines Pediküresalons, möglicherweise das ganze Jahr über. N. wirft die Autotüre zu und überquert die Straße. Warum sollte er nicht schnell einen kleinen Espresso trinken, bevor er seine Einkäufe erledigt? In der Konditorei dämmern ein paar Tortenstücke im Neonlicht der Vitrine dem Abend entgegen. Pensionistinnen bevölkern die schmuddeligen Tischchen, dazwischen gönnen sich Bauarbeiter ein Bier. Im Hinterzimmer der Konditorei täuschen Spiegel nicht über die Tatsache hinweg, dass der Raum keine Fenster hat. N. nimmt auf der mokkabraunen Bepolsterung Platz und studiert die plastikverschweißte Getränkekarte. Eine blonde Kellnerin tritt an seinen Tisch. N. fällt das Namensschild auf ihrer Bluse auf: Fr. Gloria. (DER STANDARD/rondo/6/12/02)