Foto: Propyläen
Unversehens wurde aus dem deutschen Zeithistoriker Jörg Friedrich ein Bestsellerautor: "Der Brand - Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945" wird nach dem Vorabdruck als "Bild"-Serie kontrovers diskutiert - und oft missverstanden.

Berlin - "Es ist mir schleierhaft, was in den letzten Wochen passiert ist", sagt Jörg Friedrich. Mitte November erschien sein Buch Der Brand, mittlerweile ist der Privatgelehrte ein Bestsellerautor. Nun gibt er in einem Hotel am Berliner Gendarmenmarkt Interviews: Auskunft über sein Werk, in dem die Deutschen als Opfer, und - so sehen es Teile der britischen Presse - Churchill als Kriegsverbrecher gezeichnet werden.

Er hatte sie "im Kopf", diese Geschichte der Zivilbevölkerung während des Luftkriegs über Deutschland, sagt Friedrich und gesteht ein, dass sie schnell ("zunehmend manisch") geschrieben wurde. Der Brand ist auch ein Produkt der Konjunkturen des Buchmarkts, provoziert durch die Novelle Im Krebsgang von Günter Grass, der vom Drama der Vertriebenen erzählte, ohne auf historische Aufrechnungen zu zielen.

Friedrich schrieb ein Sachbuch, er konkurriert nur mit den literarischen Formen der Beschreibung, zielt aber eindeutig auf den großen Roman. Über sechshundert Seiten hält er einen lakonischen, detailgesättigten Tonfall durch, gelegentlich aber holt er aus: "An diesem Scheitelpunkt des Krieges" - als die Deutschen die britische Insel angreifen - "fällt der Beschluss, den Strategischen Luftkrieg zu eröffnen, die Neuzeit liefert sich einem unüberschaubaren, nicht zu beherrschenden Verhängnis aus."

Das Verhängnis suchte die Bevölkerung der deutschen Städte in den nächsten Jahren meist nachts heim. Zuerst fielen die "Blockbuster" auf die Häuser, durchschlugen mehrere Stockwerke, und schufen so Raum für Brandbomben, die die verheerenden Zerstörungen anrichteten. Das alliierte "Bomber Command" muss seine Methoden, unterstützt von Wissenschaftern, erst entwickeln. "Einsatz und Erfindung überschnitten sich. Als Technik, Gerät und Können beieinander waren, ging der Krieg zu Ende."

Als die Bomber durch die deutsche Luftwaffe keinen Widerstand mehr erfuhren, waren die Menschen den Attacken schutzlos ausgeliefert. "Ein sicheres Refugium war der deutsche Keller, entweder als Ziegelgewölbe oder als Betonguss mit Stahlträgern gebaut. Die Kellerdecke gewährte gegen die Sprengkraft ausgezeichneten Schutz. Schutz-los war sie allein gegen die Verbrennungsgase und den Sauerstoffverlust. Von diesen Haupteffekten des Brandkriegs bestand zunächst keinerlei Vorstellung."

Zwischen 1940 und 1945 verloren 500.000 Deutsche in den bombardierten Städten ihr Leben. 80 Prozent von ihnen wurden "vergast", sagt Friedrich, wohl wissend, dass auch dieser Ausdruck dem suggestiven Gestus seines Buches geschuldet ist, der ihn von "Massaker" und "Einsatzgruppe" schreiben ließ, wodurch die Bombenangriffe eindeutig den Charakter von Kriegsverbrechen bekommen, wenn nicht gar in die Nähe des Holocaust gerückt werden.

Horror. Hilflos.

"Sagen Sie mir einen Ausdruck!", fordert Friedrich - zum Beispiel für die Bombardierung von Swinemünde, wo es im März 1945 vor allem Flüchtlinge traf. "Als die Kadetten die Leiche einer Frau auffanden, die während des Angriffs ein Kind geboren hatte, das unverletzt, doch tot an der Nabelschnur hing, sanken ihnen die Hände herab."

Jörg Friedrich hat sich zu diesen Beschreibungen akribisch durchgearbeitet. Er hat über die Verbrechen der Wehrmacht im Osten ein tausendseitiges Werk - Das Gesetz des Krieges - geschrieben, hat sich mit der juristischen Verfolgung von NS-Verbrechen beschäftigt und war an TV-Sendungen Alexander Kluges beteiligt, der seinerseits früh über die Bombennächte geschrieben hatte.

Der Brand wurde wohl nicht so sehr seines Gegenstands wegen zum Bestseller, sondern der spezifischen Leideform in der Darstellung wegen. Es ist schließlich nicht das erste Buch über diese Erfahrungen, der Roman Vergeltung von Gert Ledig erschien schon 1956 und wurde vergessen. Die Achtundsechziger wiederum, zu denen sich Friedrich ausdrücklich zählt, wollten sich unbedingt von der "Erlebnisgeneration" absetzen, die deutsche Täternation musste begriffen werden, zudem war die Geschichtsschreibung von soziologischen Modellen geprägt.

Nun aber sei es, so Friedrich, "Zeit, den Winkel der Wahrnehmung zu erweitern". In Der Brand tut er dies mit einer elementaren Kraft, die in den Kapitelüberschriften anklingt: Waffe. Strategie. Land. Schutz. Wir. Ich. Stein.

Dahinter verbirgt sich eine Kulturgeschichte aus Ruinen, in der nie übersehen wird, dass dieser Krieg auch für alliierte Soldaten "a matter of life and death" war und dass die Strategie der Befreier zuerst eine "zweite Machtergreifung" der Nationalsozialisten bewirkte. Die Partei allein verfügte über Ressourcen, die schlimmste Not zu lindern.

Der "totale Krieg", den Goebbels beschwor, wurde von den Alliierten aus der Luft geführt. "Die Mittel verschlingen die Ziele." Friedrich spricht von einer "Entartung des Kriegs", und wieder klingt es nicht wie eine semantische Provokation, sondern wie eine logische Folgerung.

"War der Bombenkrieg rechtlich, moralisch und militärisch mit dem Befreiungsziel der Alliierten vereinbar?", fragt Friedrich - und stellt sich damit auch aktuellen Diskussionen: Die Militärkampagne gegen Nazideutschland sei ja "die Matrix, auf der Bush und Blair handeln, wenn sie gegen Hitlers Nachgeburten vorgehen". Der Luftkrieg aber ist "ein Menetekel, das über der Zivilisation hängt".

Der Brand ist kein Buch, das den Holocaust vergessen macht oder deutsche Schuld leugnet. Es ist auch kein Buch, das sich für Debatten instrumentalisieren ließe. Und es ist zweifellos nicht unfehlbar, weil sich darin ein Moralist äußert. Als historischer Bericht und als Schule der Vorstellungskraft hat es den Erfolg verdient, dessen Schleier sich bald wieder über diesen Tatsachen lichten sollten. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8.12.2002)