Einem Drahtseilakt gleichen die letzten Verhandlungsrunden vor dem EU-Gipfel in Kopenhagen Ende dieser Woche. Die dänische Ratspräsidentschaft hat eine riskante Strategie eingeschlagen. Die Verhandlungen mit den zehn Kandidatenländern, die am 1. Mai 2004 der EU beitreten könnten, laufen de facto ohne Absicherung.

Die Präsidentschaft hat zweimal das Angebot an die Kandidatenländer im Alleingang nachgebessert. Das erste Paket macht ca. 1,2 Milliarden Euro mehr aus. Das zweite Paket umfasst weitere Nachbesserungen in der Höhe von 298 Millionen Euro. Insgesamt würden die Neuen rund 2,5 Millairden Euro mehr erhalten, als im Oktober in Brüssel von den Staats- und Regierungschefs vereinbart wurde. Damals wurden die Erweiterungskosten insgesamt mit 40 Milliarden Euro limitiert. Die von den Dänen angebotenen zusätzlichen Milliarden sollen den Kandidatenländern helfen, schneller EU-fit zu werden, und die zunehmende Europaskepsis in den Kandidatenländern bremsen.

Zuletzt regte sich in Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn Protest gegen die bereits erzielten Verhandlungsergebnisse mit Brüssel. "Nicht um jeden Preis in die EU" lautet der Slogan der EU-Gegner in Polen. In Prag und Bratislava protestierten empörte Bauern gegen das ihrer Meinung nach zu geringe Agrarangebot. In der tschechischen Hauptstadt bewarfen in der Vorwoche wütende Demonstranten das Landwirtschaftsministerium mit Eiern und Tomaten. Sie forderten auf Transparenten "Gleichheit für alle tschechischen Schweine".

Mit ihrem Alleingang ist die dänische Ratspräsidentschaft prompt zwischen alle Fronten geraten. Während die "alten" EU-Länder, allen voran Deutschland, ihr einen zu großzügigen Umgang mit dem Geld der Nettozahler vorwerfen, lautet der Tenor der Kritik in den Kandidatenländern, dass der reiche Westen geizig und lediglich am politisch-ökonomischen Mehrwert der Erweiterung interessiert sei.

Zusätzlich ist die dänische Ratspräsidentschaft unter Termindruck gekommen. Überraschend wurde die zweitägige Sitzung der EU-Außenminister im Allgemeinen Rat, die Montag Früh beginnen sollte, verkürzt. Die Sitzung fängt erst am späten Abend an. Die Lösung der noch offenen Fragen vor dem Gipfel in Kopenhagen, der am Donnerstag startet, ist daher ziemlich unwahrscheinlich.

Das große Feilschen

Womit die Dänen zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihr Konzept nicht aufgeht. Ursprünglich sollten die wichtigsten Fragen vor dem Gipfel bereinigt werden, um das Treffen der Staats- und Regierungschef feierlich und möglichst konfliktfrei über die Bühne zu bringen. Kopenhagen dürfte nun aber vom großen Feilschen ums Geld und vom Streit um das Datum für die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei dominiert werden.

Brüssel hat diese Frage auch mit der Lösung des Zypernproblems verknüpft. Weder die griechischen noch die türkischen Zyprioten haben bisher auf den UNO-Kompromissvorschlag zur Schaffung einer Föderation mit eigenen Regierungen für den griechischen und den türkischen Inselteil reagiert. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac wollen der Türkei die Aufnahme von Verhandlungen am 1. Juli 2005 anbieten, falls die Voraussetzungen erfüllt sind; Luxemburg und Österreich sind gegen die Nennung eines konkreten Datums. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.12.2002)