Ein kleines, weißes Haus nahe dem Zentrum der nicaraguanischen Hauptstadt Managua, ein adretter Vorgarten mit Blumenbeeten und kleinen Bäumen, ein Idyll für den Mittelstand. Ernest Cardenal - betagter Dichter, Ex-Priester und Revolutionär - öffnet im weißen Hemd und ausgewaschenen Jeans die Haustür, das Gebäude dient ihm als Büro.

Man braucht gar nicht viel zu fragen, Cardenal - routiniert im Umgang mit Journalisten - hält Monologe, Zusammenfassungen seiner Enttäuschungen, kurze Erwähnungen seiner Erfolge. "Das Schönste in meinem Leben war, dass ich mit 31 Jahren meinen Gott gefunden habe und ihm als Mönch folgen konnte; meine größte Enttäuschung ist das Scheitern der sandinistischen Revolution in Nicaragua. Von diesen Stalinisten ist nichts mehr zu erwarten, die haben uns für Millionen US-Dollar verraten".

Cardenal, der im Sozialismus noch immer das Evangelium am besten verwirklicht sieht, klagt wortreich über "schlechte Zeiten" für seine Befreiungstheologie: "Es gibt heute kaum noch Platz für Humanität. Dennoch bleibt die Befreiungstheologie das Einzige, was die Menschheit vorwärts bringen kann." Der Streit mit dem Vatikan, der von Cardenal den Rückzug von allen politischen Ämtern forderte und 1985 mit seiner Suspendierung als Priester endete, ist für Cardenal abgeschlossen: "Die römische Amtskirche ist mir egal."

Mit päpstlichen Rügen - Johannes Paul II. hatte ihn bei seinem Besuch in Nicaragua öffentlich gemaßregelt - könne er leben, die seien "nicht unerwartet gekommen". Auch dass er keine Sakramente mehr spenden kann, lässt den Dichter kalt: "Das sind nur Äußerlichkeiten, eigentlich unwichtig." Christentum, Humanitas könne er auch ohne Rom vermitteln.

So steht er dann verloren in seinem Vorgarten und winkt beim Abschied: Ein ehrwürdiger, weißhaariger Ex-Jesuit am Rande der Verbitterung, der sich in der heutigen Welt nicht mehr zurecht findet und seltsam desorientiert wirkt. (Gerhard Plott/DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2002)