Wien - Los ging's mit Schönbergs Drei Klavierstücken op. 11 - zwölf Seiten für Klavier solo, mit denen anno 1909 Musikgeschichte als nachfühlbare Entwicklungsgeschichte ihr Ende fand und zugleich ein neuer Anfang gemacht wurde in Richtung abstrahierter Emotion. Mitsuko Uchida füllte Schönbergs radikale Tonschöpfung mit größtmöglicher Expressivität, spannte satte Bögen wie bei Rachmaninow, fabrizierte filigranen Kling-Klang à la Debussy und verband so das Werk behände wie bestrickend mit der Vergangenheit, mit der es brechen wollte.

Dann Schuberts große G-Dur Sonate D 894: große Subtilität und Präzision im Agogischen, ein feines Händchen bei der Wahl der Tempi, wunderschöne Klangfärbungen, perfekte Balance der Stimmen. Uchida führte perfekt aus, was Schubert notiert hatte. Und trotzdem: Man wurde nicht richtig glücklich, man wurde auch nicht richtig traurig, alles blieb belanglos.

Nirgends blitzte ein Quadratmillimeter Unverwechselbarkeit aus dem perfekt geschneiderten Schubertschen Interpretationsgewand hervor: die Pianistin als hochversierte Notentext-in-Klang-Umwandlerin. So saß man also da und wähnte sich in einer Parfümerie, beim Nobelfriseur, in der Lobby eines Luxushotels: Schubert als elegant-elitäres Seelen-Refreshment im perfekt ondulierten Klang-Styling. Das Eigene, Unerwartete fehlte.

"Durchaus phantastisch und leidenschaftlich vorzutragen", notierte Robert Schumann zu Beginn des ersten Satzes seiner C-Dur-Fantasie op. 17, und das tat die Japanerin auch. Wüst stürzte sie sich in das Werk, präsentierte es enorm aufgedreht: als große Show eben, die das Stück ja auch ist. Besonders im letzten Satz (Schumann: "Langsam getragen. Durchwegs leise zu halten"), genauer gegen dessen Ende hin gelangen Uchida wunderzarte Pianissimi zum Fast-ein-bisschen-beeindruckt-Sein. Angemessener, freundlich-adretter Applaus. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2002)