Die 1998 in Paris gegründete Anti-Globalisierungsbewegung ATTAC hat einen neuen Präsidenten: Den französischen Wirtschaftsprofessor Jacques Nikonoff. Nikonoff ist Kommunist. Ein Hinweis, dass die nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums heimatlos gewordene Linke in der Anti-Globalisierungsbewegung, die im Grunde auch eine antiamerikansische Bewegung ist, einen neuen Lebensinhalt gefunden hat. Wie die vielen idealistischen Anhänger von ATTAC über den (einstimmig gewählten) Kommunisten an der Spitze ihrer Bewegung denken, wäre interessant zu erfahren.

Jedenfalls ist die Auseinandersetzung, welchen Weg die Welt gehen soll - den der grundsätzlichen Öffnung der internationalen Märkte oder einen anderen, von den Globalisierungsgegnern noch nicht so klar dargelegten - vielleicht die große intellektuelle Herausforderung der Gegenwart. In diesem Zusammenhang kam es an diesem Wochenende in Wien bei einer international hochranggigen Tagung des "Instituts für die Wissenschaft vom Menschen" zum Thema "Moral und Politik" zu einer überaus spannenden Konfrontation zwischen prominenten Globalisierungsgegnern und -Befürwortern. Sie war deshalb so erhellend, weil hier ein Kritiker der globalen freien Märkte, der selbst bis vor kurzem in einer zentralen Institution des Weltkapaitalismus saß, und der Vertreter eines ex-kommunistischen Landes als unbedingter Verfechter der Öffnung aufeinander trafen.

Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger für Ökonomie, musste vor wenigen Jahren die Weltbank verlassen, weil er, vergröbert gesagt, die Globalisierung und ihre Durchsetzung durch Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds für das Elend vieler Drittweltstaaten verantwortlich machte. Stiglitz argumentiert, dass die Liberalisierung der Kapitalmärkte unter anderem die jüngste Krise in Argentinien verursacht hätte. Das internationale Kapital gehe nach Belieben rein und raus und der IMF zwinge den Staaten im Gegenzug für Finanzhilfen harte, unsoziale Sanierungsprogramme auf.

Leszek Balcerowicz, Chef der polnischen Notenbank und als Finanzminister Autor einer schockartigen, aber bisher erfolgreichen Öffnung Polens für die Marktwirtschaft, widersprach dem vehement. Man könne einfach nicht sagen, die reichen Länder seine schuld am Zustand der armen. Dies liege sehr oft daran, dass dort einfach schlechte Regierungen an der Macht sind, die dauernd Kriege oder Bürgerkriege führen (Afrika, Naher Osten), in denen extreme Korruption und unsichere Rechtsverhältnisse herrschten. Und dass sich manche Länder eben zu wenig der Globalisierung öffneten.

Tatsächlich ist etwa Argentinien ein aktueller Fall, den man näher ansehen sollte. Dieses an sich reiche Land, in dem jetzt Kinder verhungern, wird von einer ziemlich verantwortungslosen Clique regiert, die in den Boom-Jahren viel zu hohe Schulden gemacht hat. Die Schulden dienen aber unter anderem dazu, eine riesige, parasitäre Bürokratie und Wahlgeschenke an den peronistischen Populismus zu finanzieren. Der IMF hat in Argentinien zweifellos zu mechanistisch auf Kürzungen des Staatshaushaltes bestanden, aber die argentinische Krise ist zu einem sehr großen Teil hausgemacht.

Kein Zweifel: die Übertragung des "hirnlosen Dogmas" (der britische Wissenschaftler John Gray) vom " Kapitalismus pur" auf andere Kulturen hat viel Schaden angerichtet (vor allem in Russland); aber wir werden mit derselben Schärfe überprüfen müssen, was die Globalisierungskritiker wie ATTAC als Rezepte anbieten. hans.rauscher@derstandard.at (DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2002)