Wien - Jeremiasz B. - nach Ansicht der Ermittlungsbehörden
ein Pate der polnischen Mafia und seit 1995 quasi nebenbei V-Mann der
mittlerweile aufgelösten Einsatzgruppe zur Bekämpfung der
Organisierten Kriminalität (EDOK) - wird sich ab Ende Jänner 2003
wegen Erteilung eines Mordauftrages, dem ein polnischer Ex-Minister
zum Opfer fiel, und Beteiligung an einer kriminellen Organisation vor
einem Wiener Schwurgericht verantworten müssen. Dies bestätigte am
Dienstag die Pressestelle des Straflandesgerichts.
Richterin Michaela Röggla-Weiss, die die Verhandlung leiten wird,
konnte oder wollte noch kein genaues Datum nennen: "So lange die
Ladungen noch nicht draußen sind, möchte ich nichts Konkretes sagen."
Es wird damit gerechnet, dass "blockweise" verhandelt wird, da sich
der inkriminierte Sachverhalt großteils in Polen abgespielt hat und
zahlreiche Zeugen im Rechtshilfeweg geladen und stellig gemacht
werden müssen.
Jeremiasz B. hatte erstmals im Zusammenhang mit der
schlagzeilenträchtigen EDOK-Affäre für Aufsehen gesorgt. Mehrere
Mafiafahnder wanderten im vergangenen April unter anderem deshalb in
U-Haft, weil sie den mutmaßlichen Mafioso, gegen den seit längerem
eine Sondereinheit der Kriminalabteilung Niederösterreich ermittelte,
zu schützen versucht hatten.
Als im Frühjahr 2001 die Spatzen seine bevorstehende Festnahme von
den Dächern pfiffen, wollte man ihn sogar im Zeugenschutzprogramm des
FBI unterbringen und so außer Landes schaffen. Zwei ehemalige
EDOK-Beamte sind deshalb mittlerweile rechtskräftig abgeurteilt, das
Strafverfahren gegen den diesbezüglich nicht geständigen
Oberstleutnant Josef B. soll kommende Woche zu Ende gehen.
Obwohl die kriminellen Aktivitäten des zwielichtigen
Geschäftsmanns offensichtlich waren - schon 1994 saß er in Polen
wegen Alkoholschmuggels in Haft, später wurde er in Deutschland wegen
eines groß angelegten Zigarettenschmuggels verurteilt -, hatte ihm
die EDOK wiederholt Honorare für "erstklassige Informationen"
bezahlt, wie Oberstleutnant Josef B. später ein Mal betonte.
Jeremiasz B. besitzt seit 1998 die österreichische
Staatsbürgerschaft und residierte zuletzt in einer recht feudalen
Villa in Gramatneusiedl. Die Umstände, die zur Verleihung der
Staatsbürgerschaft geführt haben, sind nach wie vor Gegenstand von
Ermittlungen: Wie die Wiener Stadtzeitung "Falter" in ihrer morgen,
Mittwoch, erscheinenden Ausgabe berichtet, sollen Polizeibeamte
Material, das Jeremiasz B. belastet hätte, weggeworfen bzw. unter den
Tisch gekehrt haben. "Zu diesem Themenkomplex sind Erhebungen im
Laufen. Die gerichtliche Voruntersuchung ist noch keineswegs
abgeschlossen", bemerkte dazu Staatsanwalt Walter Geyer - zuständiger
Sachbearbeiter der Causa.
Somit wird das, was in knapp sechs Wochen verhandelt wird,
mittelfristig wohl nur ein erster Teil dessen sein, was die
Anklagebehörde dem 57-Jährigen zur Last legt. Zentraler Punkt der
umfangreichen Anklageschrift ist die Ermordung des früheren
polnischen Sportministers Jacek Debski, die Jeremiasz B. - übrigens
ein Großcousin des Opfers - in Auftrag gegeben und geradezu
telefonisch "dirigiert" haben soll. Debski wurde in der Nacht zum 12.
April 2001 vor dem etwas außerhalb von Warschau gelegenen Lokal "Cosa
Nostra" hinterrücks erschossen. Kolportiertes Motiv: Debski dürfte
von Jeremiasz B. Vorauszahlungen für ein Bauprojekt erhalten und
umgerechnet fast 300.000 Euro unterschlagen haben.
Belastet wird Jeremiasz B. hauptsächlich von einer Frau, die
Debski in das an einer Autobahnausfahrt gelegene Lokal begleitet
haben soll. Dabei wurde sie mehrmals von Jeremiasz B. auf ihrem Handy
angerufen, wie sich aus entsprechenden Telefonüberwachungsprotokollen
ergibt. Ihrer Aussage zufolge soll sich der 57-Jährige erkundigt
haben, wo sich Debski gerade befinde. Bewusst habe Jeremiasz B. dann
die Frau gebeten, mit dem Ex-Minister ins entlegene "Cosa Nostra" zu
gehen und jenen dann ins Freie zu locken, so die Anklage.
Als die beiden die Weichsel entlang spazierten, tauchte plötzlich
ein Unbekannter auf und streckte Debksi mit einem Kopfschuss nieder.
Der Schütze konnte später ausgeforscht werden, wurde aber im
vergangenen Juni in seiner Zelle in einem Gefängnis in Warschau
erhängt aufgefunden. Wie einige polnische Medien später berichteten,
soll es sich nicht um Selbstmord gehandelt haben: Der Mann wurde
demnach angeblich mit einem Elektroschocker betäubt und dann in einer
Einzelzelle aufgehängt.
Naturgemäß interessierte sich auch die Staatsanwaltschaft Wien für
den Toten, der als mutmaßlicher Killer seinen Auftraggeber nennen
hätte können: Georg Bauer, Vorstand des Wiener Instituts für
Gerichtsmedizin, wurde zur Erstellung eines Gutachtens über die
Todesursache nach Polen gesandt. Die schriftliche Ausfertigung seiner
Ergebnisse liege noch nicht vor, erklärte Karl Bernhauser, der
Verteidiger von Jeremiasz B., dazu am Dienstag im APA-Gespräch.
"Das muss sich erst herausstellen, ob er schuldig ist", meinte
Bernhauser grundsätzlich über die Rolle seines Mandanten. Die
Kronzeugin der Anklage sei "wenig glaubwürdig". Sie habe
erwiesenermaßen vor dem unter mysteriösen Umständen zu Tode
gekommenen mutmaßlichen Killer einen anderen Mann fälschlich als
unmittelbaren Täter bezeichnet, den sie seit einem halben Jahr aus
ihrem Fitness-Studio kannte, so der Anwalt. Die häufigen Telefonate
mit Jeremiasz B. führte Bernhauser darauf zurück, dass die Frau den
57-Jährigen seit Jahren gut kenne.
Falter: "Größter V-Mann-Skandal"
Die Wiener Stadtzeitung "Falter" bezeichnet den Fall Jeremiasz B.
in ihrer am Mittwoch, erscheinenden Ausgabe als "größten
V-Mann-Skandal". Staatsanwalt Walter Geyer lege in seiner Anklage
"nicht nur die Verflechtungen der polnischen Mafia mit der
Wirtschaft" dar: "Er führt auch aus, wie österreichische Fahnder von
Mafiosi korrumpiert und bestochen wurden und wie die Beamten im
Erfolgsrausch ihre Informanten vor dem Gesetz zu schützen suchten."
Vor allem die Verleihung der Staatsbürgerschaft an den
mutmaßlichen Paten hat der "Falter" dabei im Sinn. Solange gegen eine
Person ein Strafverfahren läuft, sei diese formell vom Erhalt der
Erhalt der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Jeremiasz B. bekam sie
dennoch. Dabei hätte ein Blick in den Polizeicomputer genügt um
festzustellen, dass der Mann unter anderem wegen illegalen
Waffenbesitzes und Widerstands gegen die Staatsgewalt verdächtigt und
in Zusammenhang mit einem Säureattentat auf eine polnische
Staatsanwältin gebracht wurde, schreibt die Wochenzeitung. In
Deutschland war er wegen Steuerhinterziehung und Alkoholschmuggel
sogar vorbestraft.
Staatsanwalt Geyer stellt in diesem Zusammenhang in seiner
Anklageschrift wörtlich fest, der mutmaßliche Pate habe sich der
Hilfe "korrupter, zur Unterdrückung von Beweismaterial bereiter
Polizeibeamter" bedient. Weiters ist von "Soldaten" die Rede, die ihm
geholfen hätten, "sich auf besondere Weise vor
Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen". (APA)