Gebetsmühlenhafte ÖVP-Wiederholung

montage: derStandard.at
Die ÖVP will nicht schuld sein. Schuld werden die anderen Parteien sein. In jedem Fall. Die ÖVP ist nämlich nach allen Seiten offen. "Wir führen mit allen Gespräche." Gebetsmühlenartig wiederholen die ÖVP-Funktionäre diesen Stehsatz - und zögern dabei die Verhandlungen hinaus. Positiver Nebeneffekt: Während die ÖVP nach ihrem Wahlsieg auf sicheren Beinen steht, sät sie Zwietracht in allen anderen Parteien. Die Zeit, die die anderen im Wartesaal verbringen, nützt die ÖVP für die Imagepflege. Während die Parteistrategen im Wahlkampf noch alles danach ausrichteten, den Platz rechts der Mitte auszufüllen und mithilfe der enttäuschten FPÖ-Wähler den ersten Platz zu erlangen, öffnet sich die Volkspartei jetzt pro forma nach links: Da geht es weniger um die Gespräche mit der SPÖ als um das scheinbare Werben um die Grünen. "Das hätte Charme", hört man ÖVP- Granden immer wieder sagen. Natürlich hätte es das. Aber die Verhandlungen mit den Grünen dienen weniger der Anbahnung einer schwarz- grünen Koalition als der Pflege des bürgerlich-liberalen Lagers. An eine tatsächliche Regierungsbeteiligung der Grünen denkt in der ÖVP kein maßgeblicher Entscheidungsträger. Aber das Mäntelchen des Weltoffenen, der Liberalen und Aufgeklärten hängt man sich gerne um. "Wir reden mit allen." Daran kommen eben auch die Grünen nicht vorbei, wie sich gezeigt hat. Die Führungsspitze um Alexander Van der Bellen wurde in die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP förmlich hineingezwungen, weil Gesprächsverweigerung und negatives Beharrungsvermögen den Grünen gar nicht gut steht. So müssen sie gute Miene zum bösen Spiel machen, während hinter den Kulissen der Kampf um die Linie tobt. Auch die SPÖ muss ernsthaft reden und verhandeln. Die SPÖ darf sich nämlich der "staatspolitischen Verantwortung nicht entziehen". Ebenfalls ein Stehsatz, der im ÖVP- Labor entworfen wurde. Und bei der SPÖ sitzt. Während sich Alfred Gusenbauer und sein Team in den direkten Gesprächen mit der ÖVP von dieser verhöhnen lassen, reibt sich die Partei an der Diskussion Regierung oder Opposition auf. Da bleibt auch genug Dreck an Parteichef Gusenbauer hängen. Die FPÖ schließlich will unbedingt in die Regierung. Und sie ist immer noch der wahrscheinlichste Partner für die ÖVP. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wird sich den neuen Parteichef Herbert Haupt schon so herrichten können, wie er ihn für eine Regierungsbeteiligung braucht. Die FPÖ lässt sich nach ihrem Parteitag und dem nun schon tagelang währenden Schweigen Jörg Haiders auch für viele ÖVP-Funktionäre wieder schönreden. Warum auch nicht? Mit der FPÖ hat die ÖVP im Jahr 2000 ein Regierungsübereinkommen geschlossen, zu dem beide inhaltlich auch heute noch stehen können. Knittelfeld war so gesehen nicht mehr als ein Betriebsunfall, den die ÖVP strategisch geschickt ausgenützt hat, um sich an die erste Stelle katapultieren und nun die weiteren Bedingungen diktieren zu können. Würde jetzt noch einmal gewählt werden, stünde die ÖVP wahrscheinlich noch besser da. Die FPÖ reibt sich am Versuch auf, sich von Jörg Haider zu emanzipieren, die SPÖ diskutiert gerade erst ihre Fehler im Wahlkampf und die weitere Linie, die Grünen haben mit ihrer zögerlichen Linie viele Wähler aus beiden Lagern (Regierung oder Opposition) vergrätzt. Daran sieht man deutlich, was die ÖVP den anderen Parteien derzeit voraus hat: Die Strategen denken über den Tag und die Koalitionsverhandlungen hinaus - nicht unbedingt im Sinne des Staates, jedenfalls aber im eigenen Interesse. Die Parteistrategen erweisen sich dabei auch als Marketingexperten. Sie setzen ihre Botschaft (ähnlich wie jene vom Nulldefizit) täglich in der Öffentlichkeit fest: "Wir reden mit allen" steht für "schuld sind die anderen" - was auch immer herauskommt. Und seien es Neuwahlen, Schwarz-Blau oder eine Minderheitsregierung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.12.2002)