Queen Esther Marrow und die Harlem Gospel Singers gastieren im Wiener Ronacher: Gepredigt wird ... Musik!
Ronald Pohl
,
Mit der New Yorkerin Queen Esther Marrow
und den Harlem Gospel Singers gastiert eine der wichtigsten Künstlerinnen des Gospels in Österreich. In ihrer Show predigt sie mit
klassischen und zeitgenössischen Mitteln
vor allem eines: Musik!
Wien - "Das Wort 'säkular' ist
kein afrikanischer Ausdruck.
In den rund 1100 Sprachen
Afrikas gibt es kein Wort dafür. Übertragen auf die Musik
bedeutet das für uns, dass alle
Musik von Gott kommt. Das ist
der afrikanische Gesichtspunkt", erklärt Reverend
Wyatt Tee Walker, ein bekannter New Yorker Musikarchäologe, Autor und Wegbegleiter von Dr. Martin Luther
King, dem STANDARD.
Dieser Einschätzung zufolge kam es zu also zu keinem
"Sündenfall", als die Chorknaben afroamerikanischer
Kirchen in den 50er-Jahren
plötzlich in Scharen flügge
wurden und ihre Stimmen in
den Dienst des weltlichen Hedonismus und der baren
Münze stellten. Das Weihwasser wich dem Feuerwasser,
und statt Jesus zu huldigen,
wurde "Baby" angeschmachtet. "Race Music" nannte man
diese Musik, bevor der Produzent Jerry Wexler mit
"Rhythm and Blues" einen
nicht rassistischen Begriff für
die schwarze Hitparadenmusik erfand.
Dass die Weltlichkeit dieser
Musik nicht bei triefenden Beziehungsdramen im Dreiminutenformat endete, zeigte die
Bürgerrechtsbewegung der
60er-Jahre: Schwarze Künstler/Innen wie Nina Simone
oder Solomon Burke besannen
sich alter Kirchenlieder wie
I
Wish I Would Knew (How It
Feels To Be Free)
und enterten
mit diesen angesicht tagespolitischer Ereignisse plötzlich
wieder relevanten Songs die
Charts.
Die zu jener Zeit mit Dr.
Martin Luther King befreundete Gospelsängerin Queen
Esther Marrow sang damals
Titel wie
Things Ain't Right
oder
And When I Die
und
schrieb 1969 zusammen mit
einem gewissen Joe Zawinul
das zum Standard gewordene
Walk Tall
. Allesamt gespeist
aus dem Prinzip Hoffnung -
der Antriebskraft des Gospels.
Queen Esther Marrow zählt
zu den bedeutendsten Botschafterinnen dieser Musik.
Die heute 61-Jährige wurde
1965 in New York von Duke
Ellington entdeckt. Damals
begann eine Karriere, die über
das Civil Rights Movement zu
Auftritten mit Mahalia Jackson, Harry Belafonte oder - in
den 80ern - auch Bob Dylan
führte. Ende der 80er-Jahre
versandete diese jedoch, und
die Frau mit dem majestätischen Namen musste in einem
Highway-Mauthäuschen das
Geld für ihre Miete verdienen.
Gospel-Boom
1992 gründete sie die Harlem Gospel Singers. Von nun
an ging es wieder steil bergauf.
Marrow wurde eine der
Hauptverantwortlichen des
Gospel-Booms in Europa. Wobei man unterscheiden muss
zwischen einer Gospel-Show
und einer richtigen Messe. Eine Gospel-Show ist das Destillat einer Messe. Zwar
Gospels, aber mit formalen
Elementen aus dem Pop aufbereitet. Wyatt Tee Walker:
"Gospel-Shows sind einen
Gratwanderung. Es gibt Leute,
die wollen dabei einfach Spaß
haben. Das ist okay. Andere
fühlen die religiöse Dimension der Musik. Auch wenn sie
dieser, wie in Europa, ja beraubt wurden.
In Europa besteht nach wie
vor die Ansicht, dass emotionell sein gleichbedeutend mit
unintellektuell sein ist. Das ist
ein großer Irrtum. Denken Sie
nur an Dr. King, einen der
schlauesten Köpfe des vergangenen Jahrhunderts. Der kam
geradewegs aus der Kirche. In
europäischen Kirchen herrschen immer noch strenge
Etikette und steifer Formalismus, was in krassem Gegensatz zur Natur des Menschen
steht. Wir sind Geschöpfe aus
Gefühl
und
Intellekt. Viele Europäer, die mit Gospels in Berührung kommen, fühlen sich
deshalb erleichtert, weil er
diese beiden Komponenten
für sie zusammenführt. Wenn
das passiert, ist mir eine
Gospel-Show nur recht."
Marrow gilt darin als Meisterin. Während Gospel-Veranstaltungen oft nur den Emotionsvoyeurismus des Publikums bedienen und dieses
beim hoppertatschigen Mitklatschen zu
Oh Happy Day
die Weihnachtskekse zerbröselt, lädt Marrow mit ihren
Harlem Gospel Singers zu einem lebendigen Rundgang
durch ihre Welt und Kultur.
Auf ihrer aktuellen Europatournee
Walk Tall
, die sie für
zwei Wochen auch nach Wien
führt, kann man sich nun gewissermaßen "The Real
Thing" anschauen. Mit ihrer
vielköpfigen Formation interpretiert die Stimmgewaltige
nicht nur bekannte Songs wie
Amazing Grace
oder
Precious
Lord
, sondern führt auch Titel
zurück zu ihren Ursprüngen,
die man kaum als Gospels
identifiziert hätte. Etwa
Working On A Building
, dass
sich auf Queens eben erschienenem Album
God Cares
befindet.
Marrow personifiziert die
lebendige Leidenschaft von
Gospels. In die von Mercedes
Ellington, der Enkelin des Duke, choreografierte Show lässt
sie zeitgenössische Elemente
einfließen, ohne Ausverkauf
zu betreiben. Im Gegenteil.
Angesichts der Euphorie und
Intimität, mit der Marrow vorträgt, scheint es ein solche
Balance einfach zu brauchen.
Trotzdem missioniert Marrow
nicht. Ihre Mission ist die Musik.
Wie sehr sie darin aufgeht,
formuliert sie selbst am besten: "Manchmal singe nicht
ich Gospels, sondern der
Gospel singt mich." Ob man
bei Marrows Show Spaß empfindet oder darin die von Walker angesprochene religiöse
Dimension erkennt, wird individuell entschieden. Unberührt bleibt von dieser Queen
sicher niemand. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.12.2002)
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