Caracas - Die Opposition in Venezuela hat mit ihrem Generalstreik den Erdölhahn zugedreht. Die Regierung musste am Montagabend den Zusammenbruch der Erdölindustrie zugeben und erklärte sich kurz darauf zu Gesprächen über vorgezogene Neuwahlen bereit. "Es wird kein Öl mehr exportiert, die Häfen sind geschlossen, die Raffinerien und die Förderung stehen still", räumte der Generaldirektor des staatlichen Erdölunternehmens Petroleos de Venezuela (PDVSA), Ali Rodriguez, ein. Sollte das Land seinen Exportverpflichtungen nicht nachkommen, drohten Strafen in Höhe von sechs Milliarden Dollar, warnte er."Wenn der Streik bis zum 31. Dezember weitergeht, hat PDVSA kein Geld mehr, um Steuern, Lieferanten oder Löhne zu bezahlen", sagte Rodriguez. Dann gebe es kein Benzin mehr, um Lebensmittel oder Kranke zu transportieren. Dies dürfe das Volk nicht zulassen, wetterte er und rief die Regierungsanhänger dazu auf, die Saboteure zu besiegen. Etwa die Hälfte des Staatshaushaltes und drei Viertel der Deviseneinnahmen Venezuelas stammen aus dem Erdölgeschäft von PDVSA (siehe Grafik). Tanklaster requiriert In den vergangenen Tagen hatte Venezuelas linkspopulistischer Staatspräsident Hugo Chávez vergeblich versucht, die Erdölversorgung mithilfe der Streitkräfte aufrechtzuerhalten. Vereinzelt beschlagnahmten Sicherheitskräfte Tanklaster und lieferten so Treibstoff aus den Lagertanks zu den Tankstellen. Raffinerien und Verladestationen konnten aber aus Mangel an qualifiziertem Personal nicht weiter betrieben werden. Nach Angaben der Zeitung Talcual belaufen sich die Einbußen im Erdölsektor bisher auf 45,5 Millionen US-Dollar. Venezuela ist weltweit der viertgrößte Erdölexporteur und nach Saudi-Arabien und Mexiko der drittwichtigste Öllieferant der Vereinigten Staaten (13 Prozent des US-Bedarfs). Als Folge des Streiks stiegen auf den internationalen Märkten die Rohölpreise. Am Montag erreichten die Preise ein Niveau von 26,20 Dollar, vergangene Woche lag der Schnitt bei 25,72 Dollar. An den Tankstellen des Landes gab es nur noch selten Treibstoff, lange Schlangen bildeten sich dort, wo es noch Benzin gab. Es gab deutlich weniger Autos auf den Straßen, zahlreiche Inlandsflüge wurden gestrichen. Nach Angaben eines Sprechers der Gewerkschaft Fedepetrol schlossen sich 13 der 21 Öltanker von PDVSA dem Streik an, es würden nur noch 0,6 Mio. statt wie gewöhnlich 2,7 Mio. Fass Öl pro Tag gefördert. Der Kapitän des mit 280.000 Tonnen Erdöl beladenen Tankers Pilin Leon weigerte sich, sein Schiff nahe Maracaibo der Armee zu übergeben, da diese nicht die notwendigen Kenntnisse zur Handhabung des Tankers hätten und eine Katastrophe nicht auszuschließen sei, und bekam von der Justiz Recht. Betroffen waren auch die Exporte. "Wir können derzeit nicht liefern, und selbst wenn der Streik diese Woche zu Ende gehen sollte, wird es noch ein bis zwei Wochen dauern, bis die Raffinerien wieder normal operieren können", sagte Thomas Gebken, Manager von Petrocanada. (wss, -DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 11.12.2002)