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Aus Furcht vor einigen Militärs, die Interesse am Krieg in Tschetschenien haben, stoppt Russlands Präsident Wladimir Putin den Krieg nicht, meint der frühere Parlamentspräsident Ruslan Chasbulatow gegenüber dem STANDARD. Er plädiert für ein Engagement des Westens.
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Die moskautreue Verwaltung in der Kaukasusrepublik hält am heutigen Mittwoch einen "Kongress der Völker Tschetscheniens" ab - "Propaganda ohne Resultate", kommentiert Chasbulatow: Man tue so, als wäre alles normal, dabei gehen die täglichen Ermordungen weiter. Der gebürtige Tschetschene, der von 1991 bis 1993 der Duma vorstand, hält angesichts der unveränderten Kriegssituation die angeblichen Pläne für ein Referendum, Wahlen oder Flüchtlingsrückführung nur für eine Täuschung des Westens, "dessen Einmischung man panisch fürchtet". Um wirklich weiterzukommen, müsse Putin schon einen Stopp der kriegerischen Handlungen ausrufen, eine tschetschenische Delegation empfangen oder eine westliche Organisation dafür engagieren. Der in Moskau nicht mehr akzeptierte tschetschenische Präsident Aslan Maschadow habe Chasbulatow in einem Brief die Bereitschaft zugesichert, in diesem Fall auf sein Amt zu verzichten. "Schlimmer als Nahost" Der Wirtschaftsprofessor Chasbulatow, dem beide Konfliktseiten einer zu großen Kompromisshaltung verdächtigen, plädiert für mehr Aktivität westlicher Politiker und für eine Intervention von OSZE, UNO und Europarat. Stoppt Moskau nicht schnell den Krieg, würden immer mehr Tschetschenen eine völlige Unabhängigkeit anstreben; der gesamte Nordkaukasus drohe zu einem weitaus schlimmeren Konfliktherd als der Nahe Osten zu werden. Nicht umsonst habe es im antiken Persien geheißen: "Wenn der Schah verrückt wird, führt er Krieg im Kaukasus." Der russischen Seite sei nicht bewusst, dass Tausende von "jungen Wölfen" in Tschetschenien heranwachsen, Jugendliche unter 20, deren Eltern und Geschwister man getötet hat und die "mit verbundenen Augen die Kalaschnikow bedienen können". Noch könnten ihre Rachegefühle gezügelt werden, weil genügend Einheiten auf den Präsidenten Maschadow hören. Aber der Unmut wird lauter, weiß Chasbulatow von seinen regelmäßigen Reisen in die Kaukasusrepublik. Der 60-Jährige sieht allerdings wenig Friedenschancen. Mächtige Militärs verdienten am Krieg, auch die Kriegsindustrie, Kollaborateure und ein Teil der tschetschenischen Diaspora, für den der Aufstand kein Risiko sei: "Putin fürchtet wohl seine Generäle." (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 11.12.2002)