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Bernd Marin: "Ich bin für ein Recht auf Faulheit, das sollen aber die Leute selbst bezahlen, nicht die Allgemeinheit"

Foto: APA/Artinger
Wien - "Das Pensionssystem explodiert unter der Hand. Bis zum Jahr 2007 würde der Bundeszuschuss zu den Pensionen um 57 Prozent ansteigen, wenn nichts geändert wird." - So begründet der Sozialwissenschafter Bernd Marin im STANDARD-Gespräch, warum er "unbedingt noch 2003" den Beginn einer Pensionsreform für notwendig hält.

Die Pensionsreformkommission hat einen Bericht mit etlichen Reformvarianten vorgelegt - aus denen die Regierung auswählen soll.

Einig waren sich alle Experten, dass der Durchrechnungszeitraum für die Pension verlängert werden muss. Derzeit werden die 15 besten Jahre zur Pensionsberechnung herangezogen. "Das bevorzugt alle mit steilen Einkommenskurven und benachteiligt alle, die flache Einkommenskurven haben, etwa Arbeiter", erklärt Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Daher, so die Kommission, soll der Durchrechnungszeitraum künftig das ganze Erwerbsleben betragen. Mayrhuber warnt aber davor, das ohne Ausgleich zu machen: "Sonst wären Frauen, die wegen Kinderbetreuungspflichten Teilzeit arbeiten und weniger verdienen, benachteiligt."

Marin plädiert dafür, die fünf schwächsten Jahre nicht zur Pensionsberechnung heranzuziehen: "Sonst zahlen alle mit Studentenjobs drauf." Generell werden Angestellte mit der Verlängerung des Durchrechnungszeitraums weniger Pension bekommen, einfache Arbeiter eher mehr.

Frühpension lohnt sich

Einig war sich die Reformkommission auch, dass die Abschläge für die, die vorzeitig in Pension gehen, erhöht werden müssen. Nirgendwo zahlt es sich so aus, in Frühpension zu gehen wie in Österreich. Derzeit betragen die Abschläge für Frühpensionen drei Prozent, künftig sollen es vier sein. Marin ist das zu niedrig: "Die Abschläge sollen sechs Prozent pro Jahr sein wie überall in Europa. Ich bin für ein Recht auf Faulheit, das sollen aber die Leute selbst bezahlen, nicht die Allgemeinheit." Mayrhuber entgegnet, dass man das Pensionssystem nicht losgelöst vom Arbeitsmarkt betrachten dürfe - und auf dem haben ältere Arbeitnehmer wenig Chancen. Dem kontert Marin, dass ab 2005 Vollbeschäftigung eintreten werde, Abschläge also gerechtfertigt seien.

Enttäuscht geben sich die Experten von den Vorschlägen zur Frauenpension. Derzeit beträgt die durchschnittliche Frauenpension 45 Prozent der Männerpension, die Pensionskommission will das durch längere Anrechnung der Kinderbetreuungszeit ändern. Das ist Marin zu wenig: "Die Betreuungszeit muss besser bewertet werden - derzeit bekommen Präsenz- oder Zivildiener viel höhere Beiträge fürs Pensionssystem angerechnet als Frauen in der Babypause." Mayrhuber ist vor allem eine Botschaft an die Politiker, die Vorschläge der Pensionskommission umsetzen sollen, wichtig: "Es ist eine Illusion, die Frauenpension verbessern zu wollen - und zu glauben, das sei ein finanzielles Nullsummenspiel."

Die Hauptkritik von Marin ist aber eine grundsätzlichere: "Es ist unfair, das Pensionssystem zu reformieren - und Leute, die jetzt schon in Pension sind, davon auszunehmen." (Eva Linsinger/DER STANDARD, Printausgabe, 12.12.2002)