Ein dreifach Hoch auf die neuen Nobelpreisträger für Ökonomie: Daniel Kahneman von der Universität Princeton und Vernon Smith von der George Mason Universität in Virginia. Wie viele Nobelpreise ehren auch diese Auszeichnungen nicht nur die befruchtende Arbeit der Preisträger selbst, sondern auch die Denkschulen, zu deren Entwicklung sie maßgeblich beigetragen haben.Der Zufall ... Kahneman ist Psychologe. Er hat gezeigt, dass Individuen systematisch weit weniger rational agieren, als es ihnen orthodoxe Ökonomen unterstellen. Seine Forschungsergebnisse dokumentieren, dass Individuen nicht nur manchmal ganz anders handeln, als es die herrschenden Wirtschaftstheorien vorhersagen, sondern dies vielmehr regelmäßig und planmäßig tun - und zwar auf eine Weise, die man aufgrund von Hypothesen verstehen und interpretieren kann, die jenen der orthodoxen Ökonomen zuwiderlaufen. Für die meisten Marktteilnehmer dürfte diese Beobachtung keine große Neuigkeit sein: Die Makler an der Wall Street, die mit Aktien handeln, von denen sie wissen, dass sie Müll sind, beuten ja die Irrationalität aus, die Kahneman und Smith aufgezeigt haben. Und ein Großteil der Manie, die zur Finanzblase in der Wirtschaft geführt hat, beruht auf demselben Mechanismus. Aber auch den Berufsökonomen ist diese Irrationalität nicht fremd: John Maynard Keynes beschrieb schon vor langer Zeit die Börse nicht wie ein Feld, auf dem rational handelnde Individuen darum kämpfen, die Grundlagen des Marktgeschehens aufzudecken, sondern eher als eine Art Schönheitswettbewerb, bei dem der gewinnt, der am besten erraten kann, wonach die Jury entscheiden wird. Der heurige Nobelpreis würdigt - genauso jener im Vorjahr (von dessen drei Gewinnern ich einer war) - Kritik an simplifizierenden Marktwirtschaftstheorien. Jene der Preisträger 2001 zielte darauf, dass verschiedene Marktteilnehmer über unterschiedliche (und unvollkommene) Informationen verfügen und dass die Ungleichheit ihres Informationsstandes weit reichende Auswirkungen auf die Funktionsweise der Wirtschaft hat. Insbesondere haben wir deutlich gemacht, dass Märkte im Allgemeinen nicht effizient arbeiten, und dass deshalb der Regierung eine wichtige Rolle zukommt. Adam Smiths "unsichtbare Hand" - also die Vorstellung, dass freie Märkte wie von unsichtbarer Hand geleitet zu ökonomischer Effizienz führen -, ist nicht zuletzt deshalb nicht erkennbar, weil sie großteils gar nicht existiert. Auch das aber ist für jene, die Tag für Tag auf dem Markt arbeiten - und aus dem beschriebenen Informationsgefälle ihre Vorteile ziehen - nichts Neues. Dessen ungeachtet ziehen seit über zwanzig Jahren so genannte Modelle "rationaler Markterwartungen" die Ökonomen in ihren Bann. Diese Modelle gehen davon aus, dass alle Marktteilnehmer den gleichen Informationsstand haben und absolut rational handeln, dass die Märkte vollkommen effizient arbeiten und dass es keine Arbeitslosigkeit geben kann (wenn nicht gierige Gewerkschaften oder Regierungen eine solche durch die Festlegung von Mindestlöhnen verursachen); auch kommt in ihnen niemals eine Kreditverknappung vor. Dass solche Modelle besonders an den Universitäten Amerikas trotz aller Gegenbeweise vorherrschen, zeigt auch, wie Ideologie manchmal über Wissenschaft triumphiert. Leider wirken Studenten solcher Lehrprogramme jetzt in vielen Ländern bereits als Politiker und versuchen dort ihre Vorstellungen derart radikal umzusetzen, dass sie allgemein als "Marktfundamentalisten" gelten. Um nicht missverstanden zu werden: Die auf rationalen Erwartungen basierenden Modelle haben Wesentliches zur Wirtschaftstheorie beigetragen; die Konsequenz, mit der ihre Anhänger sie auf das wirtschaftliche Denken angewandt haben, half mit, die Schwächen vieler grundlegender Hypothesen aufzudecken. Gute Wissenschaft aber erkennt ihre eigenen Grenzen - und die Propheten der Modelle rationaler Erwartungen lassen üblicherweise diese Bescheidenheit vermissen. Was nun Vernon Smith betrifft: Er hat die Entwicklung der experimentellen Ökonomie entscheidend vorangetrieben, der die Idee zugrunde liegt, dass man viele wirtschaftstheoretische Behauptungen in bestimmten Arrangements im Labor überprüfen könne. Das wichtigste Ergebnis dieses methodischen Ansatzes war, dass sich die von Kahnemann beschriebene Irrationalität der Marktteilnehmer wiederholt im Rahmen von Laboruntersuchungen bestätigt hat. ... als Notwendigkeit Zu den eher amüsanten Ergebnissen der experimentellen Ökonomie zählen übrigens jene, die sich auf Altruismus und Selbstsucht beziehen. In den Versuchsanordnungen zeigte sich nämlich, dass die Testpersonen nicht so egoistisch sind, wie es die Hypothesen der Ökonomen voraussetzen - davon ausgenommen ist nur eine Gruppe: die der Ökonomen selbst. Ist das nun so, weil die Ökonomie als Disziplin Individuen anzieht, die von Natur aus egoistischer sind, oder weil die Ökonomie dazu beiträgt, die Individuen zu formen und sie egoistischer macht? Die Antwort ist mit großer Sicherheit: ein bisschen von beidem. Vermutlich wird künftige experimentelle Forschung helfen, die Frage nach dem Gewicht der beiden Hypothesen im Verhältnis zu einander zu lösen. Der Nobelpreis unterstreicht jedenfalls, wie wichtig es ist, Leute und ganze Wirtschaften so, wie sie sind, zu studieren und nicht so, wie wir sie gerne hätten. Nur wenn wir das reale Verhalten der Menschen besser verstehen, können wir auch auf eine Politik hoffen, die bewirkt, dass unsere Wirtschaft besser funktioniert. (DER STANDARD, Printausgabe 12.12.2002)