Caracas - Angesichts der sich zuspitzenden Lage in Venezuela haben die USA ihren Staatsangehörigen die Ausreise aus dem südamerikanischen Land empfohlen. Wegen der "immer schlechteren politischen und Sicherheitslage" und zunehmender Öl-und Lebensmittelknappheit könnten auch die Botschaftsmitarbeiter in ihre Heimat zurückkehren, deren Anwesenheit nicht dringend erforderlich sei, begründete das US-Außenministerium am Dienstag die Entscheidung.

Dem seit 2. Dezember andauernden Generalstreik, der inzwischen den wichtigen Ölsektor Venezuelas weit gehend lahm gelegt hat, schließen sich immer mehr gesellschaftliche Gruppen an. An dem Ausstand nehmen seit Dienstag auch die Richter des venezolanischen Verfassungsgerichts teil. Der links- populistische Präsident Hugo Chávez war mit den Verfassungshütern aneinander geraten, nachdem diese vier hohe Armeeoffiziere freigesprochen hatten, die an dem Putschversuch im April beteiligt gewesen waren.

Auch die Fahrer von Langstreckenbussen legten die Arbeit nieder, Banken verkürzten ihre Schalterstunden. Da auch die Beschäftigten der Fluggesellschaft Aeropostal die Arbeit niederlegten, brach der nationale Flugverkehr weit gehend zusammen. Tankstellen, die noch Treib- stoff verkauften, wurden von schwer bewaffneten Soldaten bewacht.

Trotz Dialogbereitschaft der venezolanischen Regierung wurden bei den Verhandlungen mit der Opposition nach Angaben des Generalsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), César Gaviria, keine Fortschritte erzielt. Nach Vermittlung Gavirias ist die Regierung in Caracas zur Erarbeitung eines Zeitplanes für Neuwahlen bereit. Die von weiten Teilen der Gesellschaft getragene Opposition beharrt jedoch auf Neuwahlen im ersten Quartal 2003 und strebt die Absetzung des Präsidenten an.

Für Chávez kommt eine Volksabstimmung über seine Amtszeit jedoch erst im August 2003 infrage. Die venezolanische Verfassung sieht so genannte Abberufungsreferenden für Amtsträger zur Hälfte ihrer Amtszeit vor. Die Streitkräfte stehen nach eigenen und Regierungsangaben loyal zu Chávez und der Verfassung. In der Armee gebe es "keinen Riss", sagte Vizepräsident José Vicente Rangel. Verteidigungsminister José Luis Prieto betonte, das Militär werde weiterhin zum Schutz der Ölindustrie eingesetzt.

Die Krise in Venezuela steht heute, Donnerstag, auf der Tagesordnung eines Treffens der Opec. In New York stieg der Ölpreis am Dienstag um 57 US-Cent auf 27,74 Dollar, in London kletterte der Preis der Nordsee-Sorte Brent dagegen um 64 Cent auf 26,40 US-Dollar. (AFP/DER STANDARD Printausgabe, 12.12.2002)