Wien - Als einen "Wendepunkt im Völkerrecht" hat Verteidigungsminister Werner Fasslabend den Kosovo-Krieg bezeichnet. Bei der Militäraktion im Kosovo sei dem humanitären Prinzip Vorrang vor dem nationalstaatlichen Prinzip eingeräumt worden, sagte Fasslabend am Donnerstag bei der Präsentation des von Sektionschef Erich Reiter herausgegebenen Buches "Der Krieg um das Kosovo 1998/99". Neue Maßstäbe wurden im Kosovo-Krieg nach den Worten des Ministers auch militärisch gesetzt, denn "es war der erste Krieg, der ausschließlich mit Luftstreitkräften geführt wurde". Fasslabend erklärte, Europa habe in der Kosovo-Problematik "erstmals ein Bewußtsein für die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik entwickelt". Die meisten Regierungen Europas hätten das Ende der traditionellen nationalen Sicherheitspolitiken erkannt. Noch im Falle von Bosnien-Herzegowina habe "eine Fülle nationaler Politiken" existiert. Zur Rolle der USA im Hinblick auf ein Eingreifen im Kosovo meinte der Minister, den Amerikanern würden meist wirtschaftliche Interessen unterstellt, was in dieser Region nicht Geltung habe. Generell unterstrich er "die Notwendigkeit einer kohärenten Gesamtstrategie, die militärische und politische Mittel von vornherein einfließen läßt". Zur Tatsache, dass die NATO-Militäraktion nicht durch ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates gedeckt war, sagte Fasslabend: "Die Kosovo-Aktion fand nach den Prinzipien der Vereinten Nationen statt, nicht aber nach dem Procedere der UNO." Der klare Vorrang, der dabei dem humanitären Prinzip eingeräumt wurde, entspreche einer "Grundeinstellung, von der sich das Völkerrecht nicht mehr entfernen wird". Und militärisch werde die Tatsache, dass der Kosovo-Krieg aus der Luft geführt wurde - "starke Priorisierung der Luftkomponente, kein Einsatz terrestrischer Kräfte" - alle künftigen kriegerischen Auseinandersetzungen entscheidend beeinflussen. Herausgeber Reiter stellte bei der Präsentation in der Concordia fest, die westliche Politik gegenüber Jugoslawien sei von der Erhaltung staatlicher multiethnischer Einheiten ausgegangen. Dieses Prinzip "war nicht erfolgreich", der Westen hätte die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kosovaren früher zur Kenntnis nehmen müssen. Künftig seien pragmatische Lösungen gefragt. Es sei "irreal, anzunehmen, dass das Kosovo freiwillig in den jugoslawischen Staatenverband zurückkehrt". Der Politik werde nicht erspart bleiben, in bestimmten Fällen das Selbstbestimmungsrecht auch durchzusetzen. Zur völkerrechtlichen Diskussion sagte Reiter unter Hinweis auf das Kapitel von Univ.Prof. Hanspeter Neuhold, wonach die NATO-Militäraktion im Kosovo zwar völkerrechlich nicht abgesichert war, "ein Verhalten, das menschenrechtlich gedeckt ist, kann aber legitim sein". Das Völkerrecht sollte dem angepasst werden. Die Endform der Balkan-Staaten sei im übrigen keine abgeschlossene, zumal die Grenzen nach den Weltkriegen von den Siegern festgelegt wurden. In das sicherheitspolitischen Denken müsse man Korrekturen einbeziehen. Das von ihm zusammengestellte Buch nannte Reiter "den Versuch einer ersten Aufarbeitung des Kosovo-Krieges", mit Analysen der Folgen dieses Kampfeinsatzes auf Militärisches, Völkerrecht und Sicherheitspolitik. Namhafte Autoren haben Beiträge geliefert, wie der deutsche General Klaus Naumann, der deutsche Ex-Staatssekretär Lothar Rühl, und die österreichischen Militäranalytiker Gustav Gustenau und Walter Feichtinger. Der umfangreiche Anhang enthält eine Zeittafel und Schlüsseldokumente zum Kosovo-Konflikt. "Der Krieg um das Kosovo 1998/99", Hsgr. Erich Reiter, erschienen im Verlag Hase & Koehler, Mainz, 276 Seiten.