Bei Temelín und Transit biss die österreichische Bundesregierung auf dem Kopenhagener Erweiterungsgipfel auf Granit. Am Freitag zeichnete sich ab, dass das Ziel, zu beiden Fragen eine Lösung zu finden, die alle 15 EU-Staaten bindet, nicht zu erreichen sein würde. Vor allem der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder sperrte sich gegen eine Ökopunkte-Einigung in Kopenhagen. Tschechien wollte sich nicht auf eine bilaterale Vereinbarung einlassen, die das Melker Protokoll über die nukleare Sicherheit unter die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs stellen sollte.

Am Donnerstagabend war Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zunächst bei Schröder mit seinem Wunsch abgeblitzt, die Verlängerung des Transitvertrages auf dem Gipfel unter Dach und Fach zu bringen. Bei einem Gespräch mit seinem österreichischen Kollegen deutete Schröder an, dass Wien seinen Teil einer beiderseitigen Vereinbarung noch nicht erfüllt habe: "Ich habe gesagt, das hat mit den Zinsen zu tun", machte der SPD-Politiker deutlich.

Schröder verwies Schüssel für eine Einigung auf "den Einundzwanzigsten". Am 21. Jänner findet eine Sondersitzung des Rats der EU-Finanzminister statt, auf dem die EU sich auf eine Richtlinie zum automatischen Austausch von Informationen über Zinserträge - also das Ende des Bankgeheimnisses in der Union - einigen wollen. Eine Übereinkunft war zuletzt am Mittwoch am Widerstand Österreichs, Luxemburgs und Belgiens gescheitert.

Die Details des österreichisch-deutschen Tauschgeschäfts "Ja zur Zinsrichtline gegen ein Ja zur Verlängerung des Transitvertrags" sind nicht bekannt. Fest steht nur, dass das letzte Kompromissangebot der dänischen EU-Ratspräsidentschaft zum Inhalt hatte, dass Deutschland auf seinen Wunsch, die Transitstrecke über das vorarlbergische Hörbranz ökopunktefrei zu stellen, aufgeben müsste. Dafür sollten die Deutschen insgesamt mehr Ökopunkte bekommen.

Offenbar war Berlin nur zu einem Kompromiss bereit, wenn Österreich tatsächlich seinen Widerstand gegen den Zins-Informationsaustausch aufgibt. Finanzminister Karl-Heinz Grasser selbst hatte diesen Zusammenhang in Brüssel mehrmals öffentlich hergestellt. Möglicherweise müsste Wien auch eine Erhöhung seiner Kapitalertragsteuer auf 35 Prozent akzeptieren (derzeit beträgt die KESt 25 Prozent). Dieser Prozentsatz wird von der Schweiz nämlich zur Voraussetzung gemacht, um sich in den europäischen Zins-Informationsaustausch einbinden zu lassen. Auch hier hatte Grasser bereits in der Vergangenheit gesagt, er könne sich eine Erhöhung vorstellen.


Temelín-Wende

Auch in der Temelín-Frage deutete sich in Kopenhagen ein Scheitern der österreichischen Vorstöße an. Noch am Dienstag hatte Außenministerin Benita Ferrero-Waldner in Brüssel angekündigt, sie habe das Energiekapitel in den Erweiterungsverhandlungen wieder geöffnet, weil die EU-Partner einer Aufnahme des Melker Übereinkommens über die nukleare Sicherheit in den Beitrittsvertrag nicht zugestimmt hätten. Diese Frage müsse auf dem Gipfel gelöst werden, so Ferrero-Waldner. Knackpunkt war der österreichische Wunsch, im Vertrag auch zu verankern, dass alle Streitigkeiten zwischen Prag und Wien über die Umsetzung des Übereinkommens vom Europäischen Gerichtshof zu entscheiden seien.

Dem wollten zwar die Tschechen, nicht aber die EU-Atomstaaten zustimmen, da dies eine Aufnahme der Nuklearsicherheit in den EU-Rechtsbestand durch die Hintertür bedeutet hätte.

In Kopenhagen musste die Bundesregierung daher die Prager Verhandler bitten, die Verweisung auf den Europäischen Gerichtshof in einem bilateralen Abkommen zu verankern. Diesem neuen Vorschlag wollten die Tschechen aus innenpolitischen Gründen nicht zustimmen.

Als Lösung zeichnete sich ab, dass Prag und Wien zwar die Rechtsgültigkeit des Melker Übereinkommens bekräftigen, aber keine Verweisung von Streitfällen an den Europäischen Gerichtshof vereinbaren. (DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.12.2002)