Nantes/Paris - Die Debatte verlief gesittet, doch in der Luft lag die Revolte. Die 585 Delegierten der "Verts" (Grünen) gaben an ihrem Parteitag in der Atlantikstadt Nantes dem linken und fundamental-grünen Parteiflügel mit 54,4 Prozent die Mehrheit in der neuen Parteileitung. Und die bisherigen Parteiführer finden sich mit einem Mal in der internen Opposition.Parteisekretärin und Exumweltministerin Dominique Voynet trat von sich aus zurück; Noel Mamère, der im Frühling bei den französischen Präsidentschaftswahlen mit mehr als fünf Prozent ein achtbares Resultat erzielt hatte, vereinigte beim Parteitag nur 23 Prozent der Stimmen auf seinen Realo-Flügel. Der Deutschfranzose Daniel Cohn-Bendit war gar nicht erst zum Kongress gekommen. Der Sieg des "radikalen" Parteiflügels ist eine deutliche Revanche für Alain Lipietz, den die Parteibasis vor Jahresfrist eigentlich zum Präsidentschaftskandidaten erkoren hatte, bevor er von der Parteileitung zum Verzicht zugunsten des bekannteren Mamère gezwungen worden war. Lipietz selbst konnte allerdings wegen eines statuarischen Verbotes von Doppelfunktionen nicht als neuer Parteichef antreten und schob deshalb seinen Vertrauten Gilles Lemaire vor. Der 51-jährige Informatiker, ehemals Maoist und später Sozialist, war aber sogar den Delegierten unbekannt. Sie scheuten sich zum Schluss des Parteitages aber vor ihrem eigenen Mut zur Revolte und gaben Lemaire nur 58 Prozent der Stimmen, während 60 Prozent nötig gewesen wären. Um aus dieser statuarischen Sackgasse zu kommen, erklärte sich Voynet bereit, bis zur nächsten Versammlung des Grünen-Parlaments Mitte Januar die Parteigeschäfte zu leiten. Solange dürften die Flügelkämpfe weitergehen. Der Linksrutsch der Basis ist allerdings ein Faktum. Er widerspiegelt den wachsenden Bruch in Frankreich zwischen sozialliberalen Linken und "radikaldemokratischen" Ex-Marxisten, die Erstere mit dem Modewort "neue Reaktionäre" bezeichnen. Lipietz, der neue Wortführer der Partei, ritt eine scharfe Attacken gegen die frühere rot-grüne Koalition, der er Verrat an linken und ökologischen Idealen vorwarf. Lemaire erteilte der Idee einer großen französischen Linkspartei seinerseits eine klare Absage: "Wir brauchen keinen großen schützenden Bruder und noch weniger eine linke Einheitspartei", meinte er an die Adresse von Sozialistenchef Hollande. (DERSTANDARD, Printausgabe, 16.12.2002)