Im Grunde probierten Nationalratspräsident Heinz Fischer und Grünen-Chef Alexander Van der Bellen am Wochenende dasselbe, wenn auch nicht auf die gleiche Weise. Beide suchten sich der fürsorglichen Belagerung durch die ÖVP zu entziehen, die sich in den Sondierungsgesprächen alle Optionen offen halten will - und das so lange wie möglich. Beide forderten die ÖVP auf, sich endlich für eine Koalitionsvariante zu entscheiden und das der Öffentlichkeit auch zu sagen.Sicherlich sind beide Politiker nicht so blauäugig, eine rasche Entscheidung der ÖVP zu erwarten. Besonders der erprobte Verhandler Fischer weiß, dass es höchst ungeschickt ist, die Karten auf den Tisch zu legen, ehe man den Mitspielern so viele Trümpfe wie möglich abgezogen hat. Sein Versuch, die Verantwortung für den weiteren Verhandlungsverlauf der ÖVP zuzuschanzen, muss also andere Motive haben - wie übrigens auch Van der Bellens Bemühen. Offensichtlich ist, dass SPÖ und Grüne bestrebt sind, sich aus der Fixierung zu befreien, in die sie durch den sukzessiv erhöhten Druck der ÖVP geraten sind, den diese unter dem Motto "Verantwortung für das gemeinsame Staatsganze" aufgebaut hat. Darum geht es natürlich nicht oder höchstens in zweiter Linie, denn der Staatsnotstand wird kaum ausbrechen, wenn sich die Oppositionsparteien der Regierungsarbeit verschließen. Es geht Fischer und Van der Bellen primär wohl um Signale an die eigene Klientel: Mit der Festlegung von Bedingungen als Voraussetzung für ernsthafte Verhandlungen beweist man das geforderte Minimum an demokratischem Grundanstand und setzt zugleich die erste Lizitationsgröße fest - umsonst, so die Botschaft, sind wir nicht zu haben. Dass dies manchmal nicht sehr geschickt vorgebracht wird, steht auf einem anderen Blatt. (DERSTANDARD, Printausgabe, 16.12.2002)