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Vom Apparatschik zum Staatsmann

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Dass ausgerechnet Leszek Miller zwölf Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Polen in die EU führen würde, hätte noch vor zwei Jahren niemand prophezeien wollen. Zwar hatte sich der gelernte Elektriker aus dem zentralpolnischen Zyrardow bereits glaubwürdig vom ehemaligen kommunistischen Apparatschik zum Sozialdemokraten gewandelt, hatte die Manieren des "roten Betonkopfes" abgelegt und sich das Image eines weit gehend ideologiefreien Pragmatikers und freundlichen Opas von nebenan zugelegt, der gerne mit seiner Enkelin auf den Spielplatz geht. Doch der heute 56-Jährige wirkte auch als Parteivorsitzender der Demokratischen Linken (SLD) immer nur wie ein Macher, nie aber wie ein Staatsmann, der etwas tatsächlich Großes für sein Land vollbringen könnte. Mit den Parlamentswahlen vom September 2001 aber übernahm Miller die EU-Stafette von seinem Vorgänger, dem konservativen Ministerpräsidenten Jerzy Buzek. Damit war klar, dass der Exkommunist als neuer Regierungschef das Land in die EU führen und somit die langfristigen Ziele der Freiheitsbewegung und Gewerkschaft Solidarnosc aus den Achtzigerjahren verwirklichen würde. Beim Kopenhagener Gipfel löste Miller das in ihn gesetzte Vertrauen ein. Nach Abschluss der Verhandlungen sagte er: "Wir sind Zeugen eines bewegenden Moments: von der polnischen Solidarnosc, die Demokratie und Freiheit in Mittelosteuropa erkämpft hat, bis zur wirklichen Solidarität Europas und der Europäer." Dieser Satz wie auch die sichtbar harten Verhandlungen, die er auf dem Gipfel führte, haben Miller nun auch die Anerkennung der früheren Bürgerrechtler eingebracht. Miller selbst findet an seiner Wandlung nichts Außergewöhnliches. "Das sind Prozesse, die lange Zeit brauchen. Leute werden erwachsen und bewerten die Dinge anders", erklärte er vor einem Jahr nach dem erdrutschartigen Sieg seiner Partei. Miller vergleicht sich gerne mit dem spanischen Sozialisten Javier Solana, der als junger Mann gegen die Nato demonstrierte und später deren Generalsekretär wurde. "Ich wuchs in einer sehr armen Familie auf und trat in die sozialistische Bewegung ein", schildert Miller seinen Werdegang. "Damals war das für mich eine ganz normale Sache. Dann kam ich zu dem Schluss, dass nur ein Land mit einer parlamentarischen Demokratie und einer Marktwirtschaft das Wohlergehen seiner Bürger gewährleisten kann." Gemeinsam mit Aleksander Kwasniewski, der ebenfalls noch im alten System Karriere machte und seit sechs Jahren erfolgreicher Staatspräsident des demokratischen Polen ist, setzte Miller den Kurswechsel der Partei durch: "Ja zu Nato und EU, zu Demokratie und Markwirtschaft." (DERSTANDARD, Printausgabe, 16.12.2002)