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Zuhause im Tief, genoss der deutsche Kanzler seine Rolle als Hauptakteur des EU-Gipfels

Foto: REUTERS/Jeff J. Mitchell
Auf breite Zustimmung stieß die vom Kopenhagener Gipfeltreffen beschlossene Erweiterung der EU in Deutschland. Die deutschen Medien überboten sich bei der Berichterstattung in Superlativen, wobei das Attribut "historisch" am häufigsten verwendet wurde. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wurde durchwegs Lob gezollt, wobei hervorgehoben wurde, dass Schröder und nicht EU-Ratspräsident Anders Fogh Rasmussen die internationale Presse über den Durchbruch informierte. Selbst die Tatsache, dass der deutsche Regierungschef im Namen des größten Nettozahlers der EU den Polen noch einmal rund eine Milliarde Euro versprach und damit den Weg für eine Einigung frei machte, wurde nicht negativ bewertet. "Gemessen am milliardenschweren Gesamthaushalt der EU ist die Summe, die am Ende noch draufgelegt wurde und die zu einem Viertel auch auf den deutschen Haushalt durchschlagen wird, noch zu verkraften. Der Finanzkompromiss ist für beide Seiten tragbar - für den deutschen Steuerzahler und für Polens Bauern", kommentierte der Berliner Tagesspiegel am Sonntag. Dass Bild und Welt am Sonntag sich in Kommentaren gar nicht mit der Finanzfrage und Schröders Rolle befassten, wird angesichts der scharfen Attacken der Springer-Zeitungen gegen Schröder in den vergangenen Wochen von Kanzler-Getreuen schon als Zustimmung gewertet. Sie verbuchen Schröders Agieren auf dem internationalen Parkett als vollen Erfolg. Auch Schröder selbst bewertete vor deutschen Journalisten den Abschluss des EU-Treffens geradezu europhorisch: "Das war ein großer Tag für Europa. Und weil es ein großer Tag für Europa war, war es auch ein großer Tag für Deutschland", so der Regierungschef. Deutschland habe vor und während der zähen Erweiterungsverhandlungen "die ihm zukommende selbstbewusste, aber zurückhaltende Rolle gespielt", beschrieb er sein Handeln. Auch sein Außenminister und Koalitionspartner Joschka Fischer zollt Lob: "Als es hart wurde gerade in den Verhandlungen mit Polen", habe der Bundeskanzler den ausschlaggebenden Vorschlag "aus der Tasche gezogen". Zum bildlichen Symbol für Schröders Rolle als Gipfelregisseur wurde für die deutschen Medien der Auftritt nach dem Dreiertreffen Türkei-Deutschland-Frankreich, als Schröder den zögernden französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac durch Ziehen am Ärmel zum Handschlag mit dem türkischen Ministerpräsidenten Abdullah Gül zwang. Die Beitrittsperspektive für die Türkei war für die oppositionelle CDU/ CSU auch der einzige Kritikpunkt, den sie anmerkte. Der in Deutschland derzeit häufig kritisierte Regierungschef, der sich in einem Umfragetief befindet, genoss den Zuspruch in Kopenhagen sichtlich. "Da ich in letzter Zeit damit nicht gerade überhäuft worden bin, freue ich mich über das Lob", sagte er strahlend in die Kameras. (DERSTANDARD, Printausgabe, 16.12.2002)