Foto: Volksoper/J. Tscharyiski

Mit der Premiere von Emmerich Kálmáns "Gräfin Mariza" hat die Volksoper ihren Euro-Operettenschwerpunkt vollendet. Regisseurin Vera Nemirova lässt die Liebesgeschichte in eine TV-Quizshow münden und erntet für ihre Aktualisierung den Zorn des Publikums.


Wien - Die hoffentlich kälteresistente Blaskapelle aus Bulgarien friert sich vor der Volksoper musizierend die Glieder ab - ihren fetzig einstimmenden Balkan-Sound hört man auch gegenüber, im Laden für Süßigkeiten, wo sich ein Herr beim Schokoladenkauf etwas gestört fühlt: "Was ist das für ein Jahrmarkt?" - Eine Dame: "Des is' der Mentha!" - Herr: "Ist das wohl seine letzte Operettenverhunzung!" - Dame: "Jo, der is' eh bald weg!" Stimmt. Aber noch nicht ganz. Drin im Theater, da ist noch eine Zeit des Übergangs, eine Art Doppeldirektion:

In einer Loge sitzt Noch-Chef Dominique Mentha, in jener daneben der kommende Direktor Rudolf Berger, der hoffentlich bald seine Premierenpläne für die kommende Saison bekannt geben wird. Wäre nett. Äußerlich ist deren Auftritt zwillingshaft. Beide stehen, nachdem sie die Loge betreten haben, demonstrativ noch ein Weilchen herum, lassen den Blick durch die Zuschauerreihen gleiten. Direktoren zeigen sich. Und sehen. Wie immer die Lugners. Harald Serafin. Vranitzky mit Gattin. Und ja, Peter Konwitschny ist diesmal auch da.

Er hätte an der Volksoper inszenieren sollen. Wurde nichts daraus. Jetzt ist er eben zugegen, um die Arbeit seiner bei Gräfin Mariza regieführenden Schülerin zu sehen. Konwitschny kann auf Vera Nemirova durchaus stolz sein.

Sie hat ihren Kálmán gut studiert, etwas durcheinander gewirbelt und seine Mariza in einer Ostblockbaracke (Ausstatter Klaus Werner Noack) landen lassen, die aussieht wie ein Flugzeughangar nach einem heftigen Sturm. Sie ist indes vieles, auch eine Schenke namens Europa. Dort: leichte Mädchen, Männer auf Krücken, Elend. Das Volk darbt. Wenn es tanzt, wird das zu einer Anklage, da bekommt Kálmáns genialisch-süßliche Musik etwas Schrill-Makabres. Operette ist, wenn man trotzdem tanzt.

Zwei Herzen

Allerdings wird hier mehr versucht, als zeigefingerwackelnd unentwegt nur auf die soziale Differenz hinzuweisen, die zwischen Pelz-und Plunderträgern herrscht. Wenn Baron Koloman Zsupan (fulminant Sándor Németh) mit dem nun wohl aufgetauten Karandila Gypsy Brass Orchestra seinen gediegenen Auftritt hat, ist man mitten im konventionell-virtuosen Operettenvergnügen.

Und auch die Annäherung der zwei Herzen, die zueinander finden sollen, ist entspannt konventionell. Bei Mariza haben wir es mit einer zum Streng-Spröden neigenden Dame zu tun, die Lisa Houben nach und nach durch diverse Gefühlslagen zwischen Sehnsucht, Enttäuschung und Erfüllung führt, während sie gesanglich leider überforciert und also permanent zu schrill tönt.

Bei Tassilo stehen wir vor einem stimmlich souveränen und strahlenden Beau, den Johan Weigel allerdings einen Abend lang nicht wirklich aus der Sphäre des eher Plumpen herausbekommt. Das erinnerte an die ersten Schauspielversuche von Arnie Schwarzenegger. Das wird schon.

In Summe: zu viel gewollt, einiges erreicht. Nemirova bedient Konventionen, wo es Sinn macht, spielt mit ihnen, wo dies Pointenbonus verspricht. Vergnügen holt man sich hier bei einer Art Loveparade; Feste feiern heißt, bis zur Besinnungslosigkeit saufen und tanzen - bis man einnickt oder schießt. Bumsti! Aber keine Bange, Fürst Populesku (glänzend Gerhard Ernst) ist nicht tot.

Der Sarg, dem er schimpfend entsteigt, kann noch warten, der Spaß geht weiter; und mitten drin ist man schließlich in einer TV-Quizshow - das Publikum darf mitmachen -, bei der die Operettenkinder, Tassilo und Mariza, schließlich zueinander finden. Damit wurde die Aktualisierunsquote schließlich doch erfüllt, und so endet der fünfteilige Euro-Operettenzyklus klar mit einem kleinen Buh-Sturm im Operettenglas.

Dirigent Guido Mancusi - für Oswald Sallaberger eingesprungen - wurde sehr freundlich behandelt. Wenngleich er der Ouvertüre einen zwar flotten, aber etwas herb-blechernen Charme verliehen hat, darf man seinen Ideen in Summe solide Operettenmunterkeit zubilligen. Etwas mehr an betörendem Schmelz statt wattig-stumpfen Streichern wäre schön gewesen, sollte aber nicht sein. Es gibt Schlimmeres. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2002)