Christian Felber ist Wirtschaftspub- lizist und Vorstandsmitglied von Attac Österreich - Netz- werk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte

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Marktöffnungsfan Hans Rauscher will die Vorschläge der Globalisierungskritiker/innen von Attac im Detail kennen lernen ("Legenden über die Globalisierung", STANDARD, 10. 12.), um sie "mit derselben Schär- fe überprüfen zu können" wie die - gescheiterten - neoliberalen Rezepte. Diesem Wunsch kommen wir gerne nach.

Wir haben nichts gegen internationalen Handel, nur darf dieser nicht prioritäres Politikziel sein. Übergeordnetes Ziel muss eine kulturell eigenständige, ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Wirtschaftsentwicklung sein. Erst dann - als Restgröße und nicht als Selbstzweck - können Handel und Investitionen den Menschen in Nord und Süd nützen.

Gleiches Recht für alle

Das bedingt eine Reihe konkreter Voraussetzungen für "Marktöffnung":

1. Freier Handel soll nur zwischen ebenbürtigen Partnern stattfinden: Wenn die Finanz-, Computer- und Telekomkonzerne der EU im "freien" Wettbewerb gegen die afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Staaten antreten, kommt das berühmte Fußballspiel auf schiefer Ebene heraus. Alle mächtigen Handelsnationen haben ihre heutigen Flaggschiff-Konzerne mit Protektionismus und Subventionen hochgemästet, egal ob USA, Großbritannien oder die - etwas zahm gewordenen - asiatischen "Tiger". Jetzt soll dieses einzig probate Erfolgsrezept ausgerechnet den armen und ärmsten Ländern vorenthalten werden? Noch dazu zu einem Zeitpunkt, wo die USA einen dreifachen Rückfall in den Protektionismus erleiden: Agrarsubventionen, Stahlzölle, Aufforderung an Bayer zum Patentverzicht.

2. Ökologische Kostenwahrheit: Gälte sie im Transport, würde sich der Weitstreckenhandel mit vielen Produkten nicht auszahlen, es gäbe kaum Transit und keinen Bedarf an Hochleistungsstraßen. Das Versäumnis: Man müsste sie einführen, bevor man den Handel liberalisiert, sonst bilden sich nicht nachhaltige Strukturen heraus wie zum Beispiel Exportmonokulturen in der Landwirtschaft oder globale Wertschöpfungsketten.

3. Strenges Kartellrecht. Auch hier ist die korrekte Reihenfolge verschlafen worden: Wer an einem funktionierenden Weltmarkt interessiert ist, muss die Spielregeln aufstellen, bevor der Anpfiff erfolgt. Sonst muss man machtlos mitansehen, wie die anfangs zahlreichen Mitspieler zu Oligopolen und Monopolen verschmelzen und der Wettbewerb erlischt.

Regulierung ...

4. Kein Wettbewerb bei den Rahmenbedingungen: Wiewohl das Rittern um Qualität und Preis der Unternehmen noch sein Gutes haben kann, so ist das gegenseitige Unterbieten der Staaten bei Umweltstandards, Arbeitsrechten und Steuerniveaus für alle Beteiligten destruktiv. Lösung: ehrgeizige Sozial-, Umwelt-und Steuerstandards auf EU-, OECD- oder (idealerweise) UN-Ebene, damit alle viel von Investitionen und Handel haben (und nicht nur die Shareholder-Eliten).

5. Technologietransfer: Ein effizientes Entwicklungshilfe-Instrument könnte die unentgeltliche Weitergabe von Know-how sein (auch von Süd nach Nord), wie es manch progressive Kleinunternehmen bereits pflegen. Dann können lokal und regional verankerte Betriebe wachsen, und die Abhängigkeit von westlichen Konzernen wird verhindert. Das WTO-Recht mit seinem strengen Patentschutz wirkt in die Gegenrichtung: Abhängigkeiten werden zementiert, Innovationen paralysiert.

... des Kapitalverkehrs

Fazit: Zu fairen Wirtschaftsbeziehungen gehört etwas mehr als die Überwindung der "Korruption im Süden" (Rauscher), an der "der Norden" übrigens seinen Anteil hat. Weltbank und Währungsfonds beliebten die Taschen von Oligarchen (Russland) und Diktatoren (Indonesien, Zaire, Argentinien) mit Kreditgeld voll zu stopfen; in Argentinien vervierfachte sich während der Militärdiktatur die Auslandsschuld - eine Hypothek, unter der das Land heute zusammenbricht.

Davon abgesehen hat kaum ein "Schüler" die neoliberalen Rezepte des Währungsfonds so nach Punkt und Beistrich befolgt wie Argentinien: Marktöffnung, Totalprivatisierung, Sparpolitik, hohe Zinsen bei fixem Wechselkurs, was zwar ausländisches Kapital - vor allem spekulatives - anlockte, aber gleichzeitig die heimische Wirtschaft strangulierte und inländisches Kapital in die Flucht schlug: Heute herrscht Hunger am Rio de la Plata.

Nicht nur Argentinien ist an der neoliberalen Medizin erkrankt. Die Marktöffnung beim Kapitalverkehr hat in den vergangenen zehn Jahren alle Schwellenländer von Südkorea über Russland bis Brasilien in schwere Finanzkrisen gestürzt: Dass 1997/98 in Südostasien rund 25 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren, ist keine "Legende der Globalisierung", wie Rauscher vernebelt, sondern die konservative Schätzung des Internationalen Währungsfonds.

Attac schlägt daher die Regulierung des Kapitalverkehrs vor: Langfristige Investitionen erhalten Einlass, kurzfristige Spekulationsflüsse nicht; Kapitalflucht wird unterbunden, Steueroasen werden geschlossen. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2002)