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Petr Pithart

Foto: Reuters/Perez

Der tschechische Senatspräsident und ehemalige Dissident Petr Pithart (61) ist prominentester Kandidat für die Nachfolge von Staatsoberhaupt Václav Havel. Die Wahl findet am 15. Jänner durch das Parlament statt. Mit Pithart, der für die Christdemokraten antritt, sprach Robert Schuster.

Standard: Wie bewerten Sie den Stand der österreichisch-tschechischen Beziehungen?

Pithart: Ich bin überzeugt, dass die Beziehungen vor allem deshalb besser sind, weil es weitaus mehr Kontakte zwischen unseren beiden Ländern auf den verschiedensten Ebenen gibt, und so soll es zwischen zwei Nachbarn sein. Das ist eben genau das, was (der ehemalige) Premier Zeman nicht getan hat. Ich habe es als höchst unglücklich empfunden, als er es ablehnte, mit den österreichischen Landeshauptleuten zu verhandeln und ihnen ausrichten ließ, dass er sie nicht als Partner auf gleichem Niveau erachte. Diese Emotionen, die da im Zuge von Überheblichkeit frei wurden, hängen auch heuten noch in der Luft.

Standard: Obwohl die Benes-Dekrete offiziell kein Hindernis für den EU-Beitritt Tschechiens darstellen, wurde häufig eine Art Geste eingemahnt. Wird es so etwas geben?

Pithart: Natürlich kann so etwas manchmal sehr viel bewegen, aber zu einer Geste gehört immer eine gewisse Spontaneität. Eine Geste, die auf Bestellung oder gar auf äußeren Druck zu Stande kommt, ist in meinen Augen keine Geste und macht wenig Sinn. Ich will festhalten, dass der Ausdruck des Bedauerns gegenüber den Ereignissen nach 1945, welches Havel im Dezember 1989 äußerte, eine dieser Gesten war. Die Reaktion ließ etwas auf sich warten, aber als sie dann kam, war der Tenor, dass dies zu wenig sei. Das war überhaupt nicht wenig, denn das hat damals zu einem Erdbeben in der politischen Landschaft geführt und viele meinten, Havel könne seine Wahl zum Präsidenten vergessen. Die deutsch-tschechische Erklärung aus dem Jahr 1997 ist, genau genommen, auch so eine Geste. Sie ist kein Vertrag, hat keine rechtliche Bindung, aber politisches Gewicht.

Standard: Senatsvizepräsident Jan Ruml hat gemeint, dass so eine Geste noch vor dem EU- Beitritt Tschechiens kommen werde...

Pithart: Ich habe nicht gesagt, dass so etwas nicht kommen wird, aber sie wird nicht unter Druck kommen.

Diese Spontaneität, von der ich vorher gesprochen habe, ist deswegen wünschenswert, weil sie es erlaubt, neue Ansätze zu verfolgen. Ruml hat ja nicht gesagt wann und wie so etwas stattfinden sollte.

Standard: Der Kopenhagener Gipfel hat den Weg dafür frei gemacht, dass Tschechien und Österreich schon bald gleichberechtigte Partner innerhalb der EU sein werden. Sehen Sie schon jetzt mögliche gemeinsame Interessen, die beide Länder vertreten könnten?

Pithart: Also ehrlich gesagt, war ich vor Jahren optimistischer, weil ich hoffte, dass Österreich als erfahrenes EU-Mitglied uns auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft begleiten und eine Art Ratgeber sein könnte. Aber so etwas ist nicht eingetreten. Man sollte aber auch Verständnis dafür aufbringen, denn Österreich grenzt gleich an vier künftige Mitgliedsländer. Aber nichts desto trotz hat Österreich gerade in Mitteleuropa die besten Voraussetzungen, Ausgangspunkt für eine Kooperation mehrerer Staaten zu werden. Ich würde im Rahmen Mitteleuropas generell jede regionale Initiative begrüßen. In meinen Augen ist die wichtigste Politik für Tschechien die mitteleuropäische Politik, weil auch unser Schicksal sich immer vom Verhältnis zu unseren Nachbarn abwickelte.

Standard: Sie sind unter den fünf Kandidaten für die Nachfolge Václav Havels der einzige ehemalige Dissident sind. Gibt es etwas, womit die früheren Regimekritiker die Politik des Landes nachhaltig beeinflusst haben?

Pithart: Die früheren Dissidenten sind sehr empfindsam gegenüber der mitteleuropäischen politischen Perspektive. Zudem mussten sich viele von ihnen in mehr oder minder schweren Prüfungen bewähren. Ein weiteres wichtiges Thema sind die Menschenrechte. Wenn ein früherer Bürgerrechtler sagt, dass die menschliche Freiheit unteilbar ist, dann sind das keine Phrasen.

Standard: Was können die früheren Bürgerrechtskämpfer aus Mittel- und Osteuropas in das bald gemeinsame Wertesystem der EU einbringen?

Pithart: Ich denke, dass die mitteleuropäischen Mitgliedsländer, sowohl innerhalb der Nato als auch in der EU, weitaus empfindlicher auf Entwicklungen reagieren, die zur Vertiefung der Gräben zwischen den USA und Europa führen. Wir sind nicht bereit, kurzatmige, populäre, ja modische antiamerikanische Tendenzen zu übernehmen. Das bedeutet nicht, dass wir proamerikanisch sind - ich spreche von der euroatlantischen Einheit und Solidarität. Und dann wird es natürlich auch zu unserem Beitrag gehören, die Erfahrungen jener Länder einzubringen, die von zwei totalitären Systemen unterjocht wurden und deshalb wissen, wie einfach es ist, die Demokratie zu verlieren, und wie schwer, sie wieder zu erlangen. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.12.2002)