... Ein wenig abseits, auf und ab gehend, ihre vierzehnjährige Tochter. Sie spricht in ein Handy. Die Mutter klopft mit dem Stock auf den Boden.DIE MUTTER: Lauter! DIE TOCHTER ( reagiert nicht. Telefonierend ): Ja ... Nein ... Nein, natürlich will ich auch, aber ... Bitte, Kaspar ... Ja, ich weiß ... DIE MUTTER ( klopft mit dem Stock auf den Boden ): Lauter! DIE TOCHTER ( reagiert nicht ): Lass mir noch ein bisschen Zeit, Kaspar, bitte ... Nein, tu nicht so, du weißt genau, warum ... Ja ... Versprochen ... Natürlich lieb' ich dich ... Ich ruf dich an ... Ja ... Ich dich auch. ( Sie beendet das Gespräch, steht einige Zeit unschlüssig, geht zur Mutter. Die Mutter klopft mit dem Stock auf den Boden. ) DIE MUTTER: Lauter! DIE TOCHTER ( reagiert nicht ): Darf ich dich was fragen? DIE MUTTER: Lauter! DIE TOCHTER ( laut ): Darf ich dich was fragen? DIE MUTTER ( lächelt gütig ): Sicher. Deine Mami kannst du alles fragen. DIE TOCHTER ( nach längerem Zögern ): Wie ... Also ... Wie funktioniert das eigentlich, dass man ein Kind kriegt? DIE MUTTER ( nickt traurig ): Ja, der Krieg ... Furchtbar war das ... Die Bomben ... Die Russen ... Ich war zwar noch klein damals, aber trotzdem - DIE TOCHTER ( laut ): Nicht der Krieg! Kinderkriegen! Wie funktioniert das? DIE MUTTER: Kinderkriegen, ach so ... Schwierig ... Sehr schwierig ... Musste man nach Italien ... Bei uns war es ja nicht erlaubt ... Hormonbehandlung ... Östrogen, Gelbkörperhormone ... Gebärmutterschleimhaut aufbauen ... Dann eine junge Frau finden, die einem eine Eizelle spendet, auch nicht einfach ... Die Eizelle muss natürlich befruchtet sein, braucht man einen Samenspender ... Schwierig ... Dann einsetzen die Eizelle in die Gebärmutter ... Warten ... Hoffen ... Dann Kaiserschnitt, nicht wahr, Bauch aufschneiden lassen, auch nicht angenehm ... Glücklich sein, sehr glücklich ... Schwierig das ... DIE TOCHTER: Bist du sicher? DIE MUTTER: Was? DIE TOCHTER: Bist du sicher, dass das nur so funktioniert? DIE MUTTER ( lächelt ): Das kannst du deiner Mami schon glauben. Ich bin vielleicht alt, aber ich habe jede Menge Lebenserfahrung. ( Die Tochter geht wieder an den Bühnenrand, wählt eine Nummer, hebt das Handy ans Ohr. ) DIE TOCHTER ( telefonierend ): Kaspar? Also gut. Ja. Jetzt gleich, ja. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir. ( Sie beendet das Gespräch und geht wieder zur Mutter. ) DIE TOCHTER: Ich geh' noch zum Kaspar lernen. DIE MUTTER: Was willst du in der Kaserne? DIE TOCHTER ( laut ): Zum Kaspar! Lernen! DIE MUTTER: Lernen ... Brav ... Gib der Mami ein Bussi. ( Die Tochter küsst die Mutter auf die Wange und will ab. Die Mutter klopft mit dem Stock auf den Boden. ) DIE MUTTER: Lauter! ( Die Tochter dreht den Fernseher lauter. Die Mutter klopft mit dem Stock auf den Boden. ) DIE MUTTER: Lauter! ( Die Tochter dreht den Fernseher noch lauter. ) DIE TOCHTER (zu sich): Manchmal könnt' ich sie umbringen ... ( Sie geht ab.
Vorhang
) Material: "Kindersegen im Pensionsalter", KURIER, 17. Dezember 2002 (DER STANDARD, Printausgabe, 18.12.2002)