Karlsruhe - Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom Mittwoch nicht den Inhalt des Zuwanderungsgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Vielmehr ging es ausschließlich um das rechtmäßige Zustandekommen des Gesetzes im Bundesrat. Dieses hat die Mehrheit der Richter im Zweiten Senat unter Vorsitz von Gerichtsvizepräsident Winfried Hassemer im Sinne der antragstellenden unionsregierten Länder verneint. Der Grund: Das von einer großen Koalition regierte Land Brandenburg hat im Bundesrat nicht - wie vom Grundgesetz verlangt - einheitlich abgestimmt.

Mehrheit zwingend vorgeschrieben

Daran änderte nach Überzeugung der Richtermehrheit auch die Tatsache nichts, dass der bei der Abstimmung im März als Bundesratspräsident amtierende Berliner Bürgermeister und SPD-Politiker Klaus Wowereit das Brandenburger Votum nach ausdrücklicher Nachfrage bei Ministerpräsident Manfred Stolpe doch als Ja-Stimmen wertete. Ohne Brandenburg aber gab es in der Länderkammer keine Mehrheit für das von der rot-grünen Koalition vorgelegte Zuwanderungsgesetz. Die wäre jedoch bei dem im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetz zwingend vorgeschrieben.

Unvereinbar mit dem Grundgesetz

Dem Bundesverfassungsgericht blieb also bei seiner Rechtseinschätzung nichts anderes übrig als die Feststellung, dass das Zuwanderungsgesetz unabhängig von seinem Inhalt mit dem Grundgesetz unvereinbar und damit nichtig ist. Wie viele der acht Richter aus dem Zweiten Senat dieser Auffassung waren, blieb unklar. Die Entscheidung kann mit 5:3 oder 6:2 Stimmen ergangen sein. Zwei von der SPD nach Karlsruhe geschickte Richterinnen bekannten in einem abweichenden Votum offen ihren Dissens mit der Mehrheitsmeinung: Lerke Osterloh und Gertrude Lübbe-Wolff argumentierten, mit der Erklärung Stolpes, er stimme als Ministerpräsident des Landes Brandenburg mit Ja, sei im zweiten Durchgang doch noch ein klares Abstimmungsvotum erfolgt.

Die Mehrheit der Richter aber sah das anders. Nachdem im ersten Durchgang der Bundesratsabstimmung der damalige Sozialminister Alwin Ziel (SPD) "Ja", Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) aber "Nein" gerufen hatte, sei offenkundig gewesen, dass es kein einheitliches Votum Brandenburgs gebe. Dies sei nach dem Redebeitrag Schönbohms auch nicht mehr zu erwarten gewesen, so dass Wowereit gar kein Recht auf eine weitere Nachfrage gehabt habe. Dabei sei auch unerheblich, ob Stolpe innerhalb der Landesregierung eine Richtlinienkompetenz habe: Für die Bundesebene komme es nur auf das Verhalten der Landesvertreter im Bundesrat an, und da werde eine Stimmführerschaft durch gegensätzliche Voten nichtig.

Unzulässiges Nachfragen Wowereits

Und schließlich habe ja Wowereit als Bundesratspräsident nach dem ersten Aufruf Brandenburgs auch förmlich festgestellt, dass das Land nicht einheitlich abgestimmt habe. Mit seiner zweiten Nachfrage bei Stolpe als Ministerpräsident habe Wowereit somit unzulässig in den Verantwortungsbereich des Landes übergegriffen. Gerichtsvizepräsident Hassemer sagte zwar bei der Urteilsverkündung, dass die Entscheidung mehrheitlich gefallen sei. Er ließ aber offen, ob über die abweichenden Voten Osterlohs und Lübbe-Wolffs hinaus möglicherweise noch ein weiterer Richter gegen das Mehrheitsvotum gestimmt hat.

Klar scheint jedoch zu sein, dass mindestens einer der vier von der SPD benannten Richter in diesem Senat mit den vier auf Unions- oder FDP-Ticket nominierten Richtern gegen die Rechtsauffassung der rot-grünen Bundesregierung gestimmt hat. Dafür kämen Hassemer selbst, der ebenfalls von der SPD nominierte Richter Bertold Sommer oder beide in Frage.(APA/AP)