Ob es in den nächsten Tagen zu Massentaufen in Wiens Kaffeehäusern kommt, ob Schwarzfahrer in der Wiener U-Bahn den rächenden Würgengeln der Verkehrsbetriebe beichten, sie hätten ihrer irdischen Güter entsagt und könnten daher der Kommune nicht länger geben, was der Kommune ist, es sei denn, die Sache ließe sich mit drei Ave Marias abtun - das werden wir rasch merken. Schon jetzt lässt sich sagen, auf dem Besuch von Kardinal Schönborn im Café Hawelka ruhte allerhöchster Segen - "Presse", "Kronen Zeitung", STANDARD und die Austria Presse Agentur würdigten die Einkehr der Eminenz bei Philemon und Baucis unter den Kaffeesiedern der Bundeshauptstadt.

Führend war - jetzt nur kein unchristlicher Neid - die "Krone". Günther Nenning, der glühende Herold jedes revolutionären Gedankens, den Hans Dichand erlaubt, hatte schon im Montag-Blatt - allfälligen Unmut über eine Profanierung des Purpurs im Keim erstickend - die Frage gestellt: Warum soll ein Kardinal nicht ins Kaffeehaus gehen, noch dazu in Wien? Kirchenmänner müssen sich heutzutage noch ganz anderen Fragen stellen, etwa: Warum soll ein Kardinal nicht eine Kolumne in der "Krone" schreiben, und wo sonst, wenn nicht in Wien? Kardinal Schönborn entwickelt Kühnheit, redete sich der betagte Ministrant zweier Hohepriester in Feuer: Er geht ins Kaffeehaus, noch dazu in weiblicher Begleitung: mit der allseits bestens bekannten TV-Frau Barbara Stöckl. Vor Arabella Kiesbauer hat ihn wohl ein gnädiger Gott bewahrt.

Christenmenschen, die finden mochten, der Kardinal übertreibe es beim Entwickeln von Kühnheit ein wenig, beruhigte Nenning: Eine neue Erfindung ist das nicht. Mission ist ein Kern des Christentums, und kommt der Berg nicht zum Propheten, muss der Prophet zum Berg: Kommen die Leute nicht in die Kirche, kommt der Kardinal ins Café Hawelka. Doch kühn? Ja, es geht um Mut. Was macht der Kardinal im Hawelka? fragte Nenning schon wieder, obwohl er es ohnehin wusste. Frau Stöckl und der Kardinal reden über Gott und die Welt: eine öffentliche Diskussion über "Stadt ohne Gott".

Und was machte Nenning im Hawelka? Er fraß. In der Hoch-Zeit des Hawelka brachte Frau Hawelka gegen Mitternacht immer ihre berühmten Buchteln. Sie waren ein Inbegriff des schönen Lebens. Ich war schon länger nicht dort. Vielleicht sollte ich hingehen. Empor die Herzen! - Her mit den Buchteln! Das ist der Unterschied zwischen Kardinal und Kolumnist.

Gestern erstattete die "Krone" Vollzugsmeldung und rühmte sich schon auf Seite 1: Adabei war selbstverständlich dabei! Rasch kam man ins theologische Fachsimpeln, wobei der Adabei sich als Kirchenlehrer seiner Leser erwies und das, was die forsche Babsi so von sich gab, zum Anlass nahm, sie als Pantheistin zu entlarven. Wenn ihr das nur im ORF nicht schadet. "Was ich so über Jesus gehört habe, war der Typ gut drauf", gestand Frau Stöckl, um dann ihrem neuen Ruf als Pantheistin halbwegs gerecht zu werden, die, wenn sie "auf dem Berggipfel steht" oder "Waldluft atmet" oder "die Sonne aufgehen sieht", weiß, dass Gott existiert, während sie in der Stadt damit ihre Probleme hat.

Auf die ketzerische Propagierung eines solchen Rustikalpantheismus schlug der Kardinal mit der Härte eines Großinquisitors zurück, wobei offen blieb, ob er im Eifer des Kampfes um die Seele der forschen Babsi nicht in gotteslästerliches Fahrwasser abglitt, er, der gerade in der Stadt, "in den unzähligen Gesichtern der Menschen, diesen Fenstern der Seele", Gott erkennt. Mit der Beweisführung hatte er freilich seine Not, wie sogar "Die Presse" von dem Glaubenstratsch (STANDARD) zu berichten wusste. Nirgends werde mehr gebetet als in der U-Bahn, vermutet Schönborn. Eine Ausdruck von Religiosität, der, wie gesagt, eng mit der Fahrkartenfrage verwoben ist. Ja, es beten überhaupt viel mehr Menschen als man gemeinhin annehmen möchte, meinte er - eine spirituelle Einschätzung, die er mit den Wiener Verkehrsbetrieben teilt. Freilich: Beweise für seinen Verdacht hat Schönborn nicht parat. Na Gott sei dank!

Anders als der agnostisch neutral referierende STANDARD ist die christliche "Presse" mit den Antworten des Kardinals auch zu anderen Fragen unzufrieden. Natürlich wollte Babsi provozieren, als sie fragte, warum die Kirche die "intellektuelle und emotionale Weltmacht Frau" nicht vernünftig zu integrieren verstehe. Darauf antwortete der kühne Kirchenfürst erst gar nicht, und dann wich er aus. Gefinkelt lieferte er eine grammatikalische Analyse ("die Kirche ist weiblich") und eine metaphorische Spielerei ("die Kirche wird für mich am besten symbolisiert durch den Mutterschoß"). Für die Mutterschoß-Metapher war das Café Hawelka kein Gnadenort. Warum es keine Priesterinnen und keine Bischöfinnen gibt, ist damit freilich nicht erklärt, motzt "Die Presse" wider den Stachel.

Jetzt sehr bedauerlich: "Gott kann man nicht downloaden." Sonst wüssten sie schon, wie man die forschen Babsis katholisch macht. (Günter Traxler, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.12. 2002)