Claus Philipp

Wien - Die Filmkritikerin Manohla Dargis beschloss kürzlich in der L. A. Times eine Rezension des zweiten Teils von Der Herr der Ringe mit einer treffenden Beobachtung, die den Reiz und die Crux sowohl von Tolkiens Roman als auch von Peter Jacksons Kinoadaption auf den Punkt bringt. "Das Vergnügen und die Spannung von Die zwei Türme speisen sich aus dem Gefühl, dass wir mehr unternehmen, als einen Film zu sehen: Viel eher sind wir auf einer Reise mit gleichgesonnenen Gefährten."

Jetzt, da diese Reise im Kino schon ziemlich weit durch Mittelerde geführt hat (und für jeden, der sich nun noch zur Lektüre des Buchs entschließt, in den nächsten Tagen zu einem der schönsten Finale führen kann, sofern nicht ohnehin schon jeder weiß, wie's ausgeht) - jetzt also wäre wieder Zeit, innezuhalten und festzuhalten, was so eine Reise ausmacht. Auch vor dem Hintergrund, dass manche Kritiker, Zuseher und Leser, die sich hier nicht unter "Gleichgesinnten" wähnen, "Das ist doch kein Meisterwerk!" rufen, und mitunter auch die Keule politischer Bedenklichkeit auspacken.

Rassistisch seien Buch und Film, hörte man in den letzten Tagen. Oder: Bushistisch, weil "Kampf gegen das Böse" und so weiter. Was schon ziemlich absurd ist und bei besserer Ausstattung mit Information vermutlich gar nicht passieren würde, aber Begeisterung und Klage halten sich bei Gruppenreisen bekanntlich ganz gern die Waage, ja, sie erhöhen sogar den kommunikativen Reiz - womit sich zumindest teilweise das Internetphänomen rund um Tolkien und den Herrn der Ringe erklärt.

Während nun aber Millionen Leser ziemlich gut wissen und begründen können, warum J. R. R. Tolkien ein virtuoser Reiseführer war, stehen wir derzeit im Kino vor einer denkbar unklaren Situation, fataler noch als etwa in Bayreuth angesichts einer Neuinszenierung von Wagners Ring. Auch dort können sich Kritiker mit Urteilen nach den jeweiligen Abenden blamieren: Der Blick aufs große Ganze wird erst am Ende frei.

Hier im Kino hingegen warten wir jeweils ein Jahr auf den nächsten Teil, der noch dazu bisher lediglich gedreht, aber keineswegs fertig montiert und komponiert ist. Im Gegenteil: Regisseur Peter Jackson reagiert in der Endfertigung ganz offensichtlich auf Publikumsreaktionen, und: Er kann es sich sogar leisten, bereits begangene Fehler zumindest in einer DVD-Edition oder später in einem finalen Director's Cut zu korrigieren.

Richtige Prioritäten

Bis jetzt lässt sich, abgesehen von der Reiselust, die auch Jackson zu wecken vermag, vielleicht so viel zu seinen Gunsten sagen: Hier arbeitet unverkennbar ein guter Kenner der Romanvorlage. Mehr noch: Einer, der innerhalb der schier unüberschaubaren Fülle, die Tolkien entfaltet, ganz gut die Prioritäten zu setzen weiß, ja manchmal sogar in großen Momenten wenn schon nicht ebenbürtig, so zumindest doch epigonenhaft Grandezza entfaltet.

Die Schlacht in Helms Klamm - eine Laufbildsymphonie mit klar konturierten Handlungssträngen und Motiven, eingebettet in Nachtschwärze und Regenstürze. Die Überflutung von Isengard, der Festung des gefallenen Magiers Saruman, durch bedächtig konsequente Baumhüter - auch hier gelingt Unvergessliches, und es ist erst recht erfreulich, dass Jackson inmitten des teilweise digital generierten Chaos auf die menschlichen Akteure nicht vergisst. (Dass die "geklonten" Orks und Uruk-Hais großteils aus dem Computer kommen, macht übrigens sogar im Sinne der Vorlage Sinn.)

Was weiters positiv überraschte: Anders als Tolkien, der die unterschiedlichen Pfade der Fellowship of the Ring nicht parallel, sondern eher verlangsamend hintereinander erzählte, setzt Jackson auf Parallelmontagen, Verdichtungen, Beschleunigungen. Zumindest im Kino funktioniert das gut, wiewohl es den Orientierungssinn der weniger gut informierten Reisenden gewiss arg strapaziert. Dennoch: In dieser hoch energetischen Ballung ist Die zwei Türme fast noch erfreulicher als sein Vorgänger.

Literaturlandschaft

Zwei Punkte werden hingegen auch immer evidenter, an denen das Kinoepos fast unausweichlich scheitern muss. Zum einen das wortwörtlich schrittweise Vortasten, das Tolkiens Text bestimmt und ihn in den Kriegsszenen niemals spekulativ wirken lässt. Im Gegenteil, dort wo der Film mitreißen will, stellt uns der Schriftsteller vor mittelalterliche Abstraktionen und artifizielle Sprachbewegungen. Wenn in Helms Klamm etwa der Zwerg Gimli und der Elbe Legolas sich im Zählen erschlagener Feinde zu überbieten suchen, geschieht dies im Buch mit archaischer Tragikomik. Im Film wirkt es wie eine Referenz an Computerspiele.

Tatsächlich würde man sich manchmal konsequentere Archetypen wünschen - und dies betrifft auch die zweite Schwäche der Adaption: Der Herr der Ringe, der jemanden im Titel trägt, den man (im Buch) nie zu sehen bekommt - er hat eigentlich keinen Helden. Der Ringträger Frodo - belastet von seiner Bürde entwickelt er zunehmend eine Fixiertheit auf sich selbst, die ihn nicht gerade zur Identifikationsfigur macht. Aragorn, der zukünftige König, hingegen, er ist auch in der Darstellung durch Viggo Mortensen ein seltsam bitterer Gesell, der lieber über ewige Liebe mit Elben sinniert, als reale Schönheiten wahrzunehmen.

Und wenn nun manche Betrachter klagen, dass einige Charaktere im Film nur wenig zu tun haben, dann ist auch das eine weitere dramaturgische Schwäche, die eigentlich aus einer Tugend des Buches resultiert. J.R.R. Tolkien entwickelte weniger lineare Handlungsstränge als ganze Landschaften (die man in Kartenform im Buch auch immer und immer wieder studiert).

Mit dieser Haltung genügt für eine Figur manchmal nur ein Auftritt und ein Detail, ohne die Balance ins Wanken zu bringen. Mit einem Starensemble und den daran geknüpften Erwartungen an Performances funktioniert das im Kino weniger gut.

Die Vorfreude auf Teil 3 - Die Rückkehr des Königs - schmälern solche Einwände aber nur unwesentlich. Nur so viel: An den Grauen Anfurten sehen wir uns wieder!