Der Po aus dem Weltall gesehen

Foto: NASA

Klimatisch gesehen ist das österreichische Rheintal typisch für viele der größeren Alpentäler: Im Herbst sammeln sich - verstärkt durch den Einfluss des Bodensees - feuchte, kalte Luftschichten im Tal. Weht jedoch der Südföhn, wird dieser Kaltluftsee von warmen, trockenen Luftmassen überlagert. Gelingt es dieser südlichen Strömung, die kühle, schadstoffreiche Luft aus dem Tal zu verdrängen, steigt mit der Temperatur aber auch die Sturmgefahr. Außerdem werden im Rheintal bei Südföhn häufig auch erhöhte Ozonkonzentrationen gemessen.

Um die Frage nach der Herkunft dieses vom Föhn quasi eingeschleppten Ozons zu klären und die Sturmvorhersagen - die vor allem für die Bodenseeschifffahrt extrem wichtig sind - zu verbessern, wurde von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) eine umfangreiche Messserie in dieser Region durchgeführt. Diese vom Wissenschaftsfonds mitfinanzierten Untersuchungen waren Teil des EU-Programms "Mesoskaliges Alpines Programm", in dem sich internationale Forschergruppen mit extremen Wetterereignissen im Alpenraum beschäftigen.

Die intensive Feldforschung der Wiener Wetterexperten wurde mit spannenden neuen Erkenntnissen belohnt: So konnten die Forscher mit Hilfe spezieller Computersimulationen nachweisen, dass die ozonreiche Föhnluft aus dem Gebiet der Poebene stammt. "Das vom Südföhn ins Rheintal transportierte Ozon wird entweder in Bodennähe südlich des Alpenhauptkamms durch anthropogene Luftverschmutzung gebildet oder stammt aus der Stratosphäre über dieser Region", erklärt die Umwelt- und Wetterexpertin Kathrin Baumann-Stanzer von der Zentralanstalt.

Obwohl die durch den Föhn verursachten Ozonkonzentrationen im Herbst und Winter überdurchschnittlich sind, bestehe für die Bevölkerung keine Gefahr, beschwichtigt die Forscherin: "Im Vergleich zum Sommer sind das relativ geringe Werte. Da die Luft im Rheintal durch die Industrialisierung und das massive Verkehrsaufkommen generell relativ stark belastet ist, wird durch die Sonneneinstrahlung im Sommer mehr Ozon vor Ort gebildet, als der Föhn in den kälteren Jahreszeiten importiert." Zwar erreichen die Ozonkonzentrationen weder im Sommer noch während der Föhnperioden für die Menschen bedrohliche Werte, doch im Jahresschnitt können die zusätzlichen Ozon-Importe aus dem Süden für die Umwelt - insbesondere den Wald - durchaus negative Auswirkungen haben.

Auch in Hinblick auf Wetterprognosen haben die Untersuchungen einen beträchtlichen Erkenntnisschub gebracht: "Wir haben uns", erklärt die Forscherin, "vor allem das Zusammenspiel der kalten Luft am Boden und der darüber liegenden Föhnströmung angesehen." Denn für Sturmvorhersagen im Bodenseeraum muss man wissen, unter welchen Bedingungen der Südföhn die kalte Luft verdrängen kann und wann der bodennahe Kaltluftsee bestehen bleibt. "Durch unsere Messungen konnten wir nachweisen, dass das Verhältnis zwischen Kaltluftsee und Föhnströmung zeitlich und räumlich äußerst variabel ist", berichtet Kathrin Baumann-Stanzer. "Jedes kleine Seitental hat seine eigene Dynamik. So gibt es beispielsweise Windschattenregionen, wo der Föhn - wie etwa im Bregenzer Raum - nur sehr selten durchgreift. Da in nahe beieinander liegenden Gegenden oft die unterschiedlichsten Witterungsverhältnisse herrschen, sind Wetterprognosen für die gesamte Region natürlich extrem schwierig." Durch die neuen Erkenntnisse kennt man nun nicht nur die Ursachen dieses Prognose-Dilemmas, sondern konnte auch die Datenbasis für differenziertere Voraussagen liefern.

Um die nötigen Informationen zu gewinnen, wurde von den Forschern die Verteilung der Temperatur, der Luftfeuchte, des Windes und der Ozonkonzentration in der Talatmosphäre bis einen Kilometer über dem Boden mit verschiedensten Messgeräten erfasst. Besonders bewährt hat sich dabei unter anderem ein mit Helium gefüllter Fesselballon, an dessen 1000 Meter langem Befestigungsseil die meteorologischen Instrumente in unterschiedlichen Höhen befestigt wurden.

Bei diesen Messungen konnten die Wissenschafter nicht nur wertvolles Datenmaterial, sondern auch hautnahe Erfahrungen mit starkem Föhnsturm sammeln: "Einmal konnte der Föhn den Kaltluftsee innerhalb weniger Minuten verdrängen", erinnert sich Kathrin Baumann-Stanzer an das beeindruckende Wetterereignis. "Unser Ballon wurde von der Föhnströmung erfasst und Richtung Bodensee weggezogen. Das Seil war straff in Bodennähe gespannt, und wir konnten gerade noch unsere teuren Messgeräte retten, bevor das Seil gerissen ist und der Ballon in Richtung Deutschland davon schwebte."

Um die nötigen Daten an möglichst unterschiedlichen Stellen und in verschiedenen Höhen messen zu können, war Kreativität bei der Positionierung der Messgeräte gefragt: So wurde etwa ein Gerät zur Temperatur- und Feuchtemessung an der Unterseite einer Gondel der Pfänder-Seilbahn befestigt.

Insgesamt eine reiche Ausbeute an neuem Wissen, das sich in absehbarer Zeit auch in verbesserten Sturmprognosen für die Bodenseeregion niederschlagen wird. "Optimal", sagt Baumann-Stanzer, "wäre natürlich eine routinemäßige Durchführung solcher Messungen in ganz Österreich - davon könnte die gesamte Wetterprognostik profitieren." (Doris Griesser/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22.12. 2002)