Unlängst fand ich in meiner Post eine dunkelgraue Folie, eine Art eleganten Mistsack, und darin eine Zeitschrift namens "Wiener Journal". Dass es sich nicht um jenes handelte, das Jörg Mauthe im Jahre 1980 gegründet hat, war auf den ersten Blick zu sehen. Selbiges wurde nämlich, wie der Begleitbrief einer "Marketingleiterin" den bisher treuen Abonnenten versicherte, "signifikant weiterentwickelt". Man sei sich "bewusst, dass das vorliegende Exemplar nur mehr sehr wenig mit der Vergangenheit zu tun hat". Kein Wunder, versteht sich das "Wiener Journal neu" doch ausdrücklich als "Zukunftsmagazin": Darin "lesen Sie Trends", nicht etwa von oder über Trends, nein, gleich die Trends selbst, quasi aus allererster Hand. Die Herolde der Zukunft ahnen, dass ihnen mancherorts Unverständnis entgegenschlagen, dass man die Gestaltung "möglicherweise als ,oberflächlich-modern'" interpretieren könnte. Sie sind aber davon überzeugt, "dass auch ein intelligentes Medium schön sein darf". Stimmt: Ein intelligentes Medium darf fast alles.

Ein solches intelligentes Medium war das "Wiener Journal". Sein Hinscheiden ist also zu vermelden. Die bisherigen Herausgeber tun das im postumen Heft mit allzu vornehmer Zurückhaltung: Peter Bochskanl wünscht nach 260 Nummern viel sagend Glück bei der "Meisterung der schwierigen Balance zwischen intellektuellem Anspruch und der beinharten Anforderung des Marktes".

Erhard Busek tröstet sich damit, dass sich nun eben seine Generation "Schritt um Schritt" verabschiede, ruft einen "Ehrensalut" für Jörg Mauthe aus und gibt ein Bibelwort mit auf den Weg: "Denn der Geist ist es, der lebendig macht."

Busek weiß natürlich: Die neue Postille huldigt vielmehr dem Zeitgeist, dem Mauthe selig sich mit aller Kraft entgegengestemmt hat. Deshalb empfiehlt sie bibelmäßig eine "Kompaktversion des Bestsellers", die per SMS verschickt werden soll.

Das hilft aber wohl auch nichts mehr. Das neue "Wiener Journal" befasst sich unerbittlich mit den drängenden Problemen der Zukunft, wie sie die ebenso neue Chefredakteurin formuliert: "Haben wir uns heute auf ein Urlaubsziel festgelegt, ist, bis wir losfahren, schon die nächste Destination angesagt." Da tut sich ein existenzieller Abgrund auf, die einschlägigen Fragen werden neu gewichtet: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin fahren wir?

Eine Zeitschrift wie diese muss jene Bedürfnisse wecken und nähren, deren Befriedigung ihre Inserenten versprechen. So kümmert man sich um das großflächig beworbene neue "smart"-Modell eben auch redaktionell. Smart halt. Gleich auf der ersten Seite, noch vor dem Editorial, prangt das ganzseitige Farbbild eines abgegessenen McDonald's-Tisches. "Love what you do" steht da, und Billy Joels Gesundheitstip wird mit "... and do what you love" ergänzt.

Das Sinnbild ist jedoch gar keine Anzeige, es verheißt gleichsam aus freien Stücken die rosige Zukunft des Geistes unter der Schirmherrschaft eines US-Weltkonzerns. Jener "Krüppelsprache", die "über die BRD von den USA" zu uns gekommen ist und von der Jörg Mauthe sich dazumal ausdrücklich distanzierte, wird hier ein wahres Fest bereitet. Die Ressorts heißen "Society-Zone", "Style-Zone", "Science-Zone" und "Culture-Zone", die Sprache der Artikel zerfällt einem wie modrige Hamburger im Mund.

Schmuddelkind ...

Wienerisch ist das "Wiener Journal neu" insofern, als unter der Überschrift "pop in/ chillout" über die Elemente des "echten Viennalizm" nachgedacht wird. Programmatisch erscheint die Empfehlung zweier Bücher durch die Redaktion: "Simplify your life" und "Simplicity ... mach's dir einfach!", im Ariston Verlag, der auf Griechisch das Beste verspricht.

Mach's dir einfach und sag's englisch! Dieses Journal ist nicht etwa eine modernisierte Version des alten, sondern sein totales Gegenteil. Ein Zeitgeist-Überholmanöver. Für eine Gesellschaft ohne Vergangenheit. Unanständig ist nicht die neue Blattlinie (die dem durchschnittlichen Wartezimmermaterial entspricht), sondern der Versuch, sie hinter dem alten Namen zu verstecken. Das Wiener Journal war recht konservativ und ein bisserl liberal, war bürgerlich und verschroben, patriotisch und mitteleuropäisch, sprachbesessen und quertreiberisch, witzig und verbohrt, eine Zeit lang sehr engagiert und in den letzten Jahren gewiss etwas ermattet und allzu hofrätlich.

... im Hochglanzlook

Im "Wiener Journal" schrieben David Axmann (sein letzter Chefredakteur) und Milo Dor, Herbert Eisenreich und Edwin Hartl, Peter Kampits und Karl Lubomirski, Herbert Rosendorfer und György Sebestyén, Peter Wehle und Hans Weigel.

Im Journal erschien das "Schönheitsmanifest" von Nenning und Mauthe, und Mauthe, der heute den meisten weder als Autor noch als Stadtrat ein Begriff ist, deckte dort Anfang der Achtziger die bauliche Misere des Kunsthistorischen Museums auf, wo man nun (2001/02) immerhin schon elektrisches Licht in den Sammlungen einführt.

Dem "Wiener Journal" gelang es, stets vom Hautgout der VP-Parteizeitung umweht zu sein und finanziell trotzdem zu hungern und zu dürsten. Und zuletzt hauptsächlich vom Roten Wien genährt zu werden. Die Herausgeber waren einflussreich, doch ihr Einfluss reichte nicht. Und es haperte seit jeher mit dem Marketing.

Der symbolische Verkauf an die "Wiener Zeitung" weckte zuletzt neue Hoffnung, stellte sich aber bald als "hostile takeover" heraus. Die "Tageszeitung für Leser mit höchsten Ansprüchen" leistet sich ein Schmuddelkind im Hochglanzlook.

So gibt es in diesem Land wieder ein eigensinniges Medium weniger, und der Öffentlichkeit hat es gar nicht weh getan. Nicht einmal eine schöne Leich' kann man haben, solange ein Wiedergänger sein Unwesen treibt.

Den können Sie übrigens als Weihnachts-Abo erstehen: "Sie bekommen die nächsten sechs Ausgaben im silbernen Snazzybag." Der schnöd verkannte Plastiksack war also ein "Snazzybag", und ich gebe zu, dass das alte Journal so was nicht hatte. Vielleicht kann Jörg Mauthe einen seiner virtuellen Donnerstagstermine bei Lotte Ingrisch streichen und stattdessen die neue Journal-Crew heimsuchen. Jemand sollte ihm ein SMS schicken. (DER STANDARD; Printausgabe, 23.12.2002) *Die Autorin lebt als freie Publizistin in Wien und wurde 2001 mit dem Staatspreis für Literaturkritik ausgezeichnet.