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Das Verhältnis Mensch-Salz ist ein durchwegs eigenartiges. Denn erstens einmal dürfte es so ziemlich das einzige Würzmittel der Welt sein, das in unserem eigenen Organismus in nicht unwesentlicher Konzentration vorkommt, das wir zum Überleben sogar äußerst dringend benötigen. Was man jetzt von Wacholder, Muskat oder Cayennepfeffer ja nicht unbedingt sagen kann. Und zweitens ist es das einzige Würzmittel der Welt, welches auf derselben nahezu unerschöpflich vorhanden ist und das auch dann noch vorhanden sein wird, wenn wir uns überhaupt nicht darum kümmern. Außerdem prägte Abbau und Handel von und mit Salz nicht wenige Kulturen, der Salzgehalt im Ozean ist ungefähr ident mit jenem in unserem Körper (wobei Binnenmeere salziger sind, Binnenmenschen hingegen nicht), und außerdem scheiden wir den würzigen Stoff mittels Urin, Schweiß und Tränen aus, was wiederum bedingt, dass wir ihn auch wieder aufnehmen müssen.

Bisher passierte das, indem man zum Salzstreuer griff, den man mit ein paar Feuchtigkeit absorbierenden Reiskörnern am Versiegen hindern wollte, wobei das Nachsalzen eine Abkürzung zum Herzinfarkt war, wie uns das Fernsehen der 70er-Jahre klar zu machen versuchte. Wie auch immer, über Salz dachte man nicht wirklich nach, solange nicht zu viel oder zu wenig davon im Essen war.

Das hat sich maßgeblich geändert, seitdem das kulinarische Bewusstsein auch bis in die letzten Winkel des Küchenschrankes vorzudringen begann und man im Rausch des mediterranen Hedonismus erstmals zu Meersalz statt zum Bad Ischler Spezial griff. Nicht ohne Effekt: Tatsächlich schmeckt Meersalz anders, weniger aggressiv, und wenn man auch noch eine grobkörnigere Variante wählt, kann man den erstaunlichen Effekt der kleinen Salz-Explosionen auf der Zunge erleben, der so manchem Gericht erst so richtig Effet verleiht. Und das Feine dabei: Es gibt Meersalze aus Italien, Spanien, Frankreich und Portugal, was zumindest die Illusion vermittelt, dass man es da mit unterschiedlichen Geschmäckern zu tun habe, was dann in weiterer Folge für Gesprächsstoff am Gourmet-Stammtisch sorgt, wenn über Olivenöl echt schon alles gesagt wurde.

Aber Meersalz ist bei weitem noch nicht das Ende der Fahnenstange: "Fleur de Sel" nennt sich ein ganz spezielles Salz, das sich in den Salinen - vor allem in der Camargue, auf den Balearen und in Portugal - dann bildet, wenn Windrichtung, Luftfeuchtigkeit und Salzgehalt des Wassers so zusammenspielen, dass sich in den Becken eine hauchdünne Salzschicht bildet. Bei deren Gewinnung muss man extrem vorsichtig umgehen und vor allem schnell sein, da ein Drehen des Windes oder ein kurzer Regenguss die Kruste sofort zerstören würde. Dieses "Fleur de Sel" gilt als das edelste Salz überhaupt, es wirkt etwas feuchter und besitzt einen merklichen Meer-Geschmack. Man serviert es in kleinen Schälchen, um bei Tisch noch die Extra-Verfeinerung herbeizuführen. Und es ist so teuer, dass die Feinschmecker-Schickeria es mittlerweile mindestens so liebt wie das Trüffelöl. "Wenn ich Fleur de Sel schon höre, krieg ich die Krise", meint etwa Meinl-Koch Christian Petz schon leicht genervt.

Ein steigendes Bewusstsein in Sachen Salz merkt jedenfalls auch Roswitha Böhm, die in Feldkirchen einen Naturkost-Handel betreibt und seit zwei Jahren dort auch mit so genanntem "Natursalz" zu tun hat. Pro Jahr sei ein Umsatz-Plus von etwa fünfzig Prozent festzustellen, meint Frau Böhm. Wobei sich "Natursalz" für sie folgendermaßen definiert: nur gebohrt und nicht gesprengt, "weil das energetisch ganz schlecht ist", händisch selektioniert, das heißt, die Salze mit wenig Einschlüssen kommen ins Essen, die mit mehr Einschlüssen kommen in die Badewanne. An die 80 Mineralien seien da in Natursalz, so Böhm, aber dennoch sei es viel weniger aggressiv, "irgendwie überhaupt nicht salzig, man kriegt wieder richtig den natürlichen Geschmackssinn".

Was dann noch übrig bleibt? Wasser mit Terroir, Luft mit Ursprungsbezeichnung, Jahrgangs-Semmerln? Salz ist essenziell, warum also nicht auch luxuriös.(DER STANDARD/rondo/27/12/2002)