Das norwegische Trio The White Birch legt mit seinem Album "Star Is Just A Sun" einen weiteren Beweis dafür vor, dass Stärke und Intensität vor allem auch in den leisen Zwischentönen zu suchen sind.
Menschen, die in der Musik darauf vertrauen, dass nicht immer die Lauten stark sind und deshalb Intensität und Gefühl gerade auch in leisen Zwischentönen fernab üblicher Feuerzeugballaden-Kitschorgien orten können, für die war das Jahr 2002 ein diesbezüglich außerordentlich ergiebiges. Neben Trust, dem aktuellen Album des US-Trios Low, dem unvergleichlichen deutschen Quartett Bohren & der Club of Gore mit Black Earth oder den Briten Savoy Grand mit ihrer jüngsten Arbeit Burn The Furniture muss kurz vor dem guten Rutsch jetzt auch noch The White Birch mit Star Is Just A Sun dazugezählt werden.
Wir hören hier sittlich-gefestigte, ernste, gravitätisch-schwere und erhaben dröhnende und wummernde, von ihrer Struktur her unglaublich einfach gestrickte Songs von einem Trio aus Oslo, das sich hier mit seinem dritten Album selbstverständlich auch in die Reihe großer altvorderer Wegbereiter einreiht. Der regelmäßige Leser dieser Spalten ahnt schon, dass jetzt naturgemäß ein Name als Allererster fallen muss. Richtig: Das hier erinnert zeitweise verdammt stark an Talk Talk und deren legendäres Mastermind Mark Hollis, also jene britische Band, die einst nach diversen Hitparadenerfolgen in der Spätphase von New Wave - zum Beispiel mit dem Nummer-eins-Erfolg It's A Shame - beschloss, sich mit genialen und verhaltenen, unendlich zarten und offen gehaltenen Songformen künstlerisch in den Olymp vorzuarbeiten - sich dabei allerdings auch sehenden Auges kommerziell selbst erledigte.
The White Birch, bestehend aus drei Menschen mit den schönen Namen Ola Flottum, Hans Christian Almendingen und Ulf Rodge lehnen sich mit ihren flächigen, atmosphärischen Songs und Sounds, die vor allem von Keyboards und zeitlupenhaften, feierlichen Klaviermelodien bestimmt werden aber auch an noch ältere Wegbereiter wie Robert Wyatt und vor allem auch Brian Eno an. Mehr als einmal erinnern Songs wie Air, Breathe oder Love Is So Real an Enos noch dem Songcharakter verpflichtende Ambient-Vorarbeiten wie etwa Another Green World, Before And After Science und vor allem in den Intros dann auch an Ambient 1: Music For Airports aus 1978 selbst. Bei Robert Wyatt wiederum hat man sich dessen großes Herz und weiches Timbre für das Spezialfach "Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt" abgeschaut.
Einen "Ausrutscher" ins Popfach gibt es auf Star Is Just A Sun auch zu vermelden. Mit dem Song Beauty King ist The White Birch endlich das bessere Supergirl von den deutsch-irischen Dumpfbacken Reamonn geglückt. Jetzt kann man die also dankenswerterweise endlich endgültig vergessen. Und die eigentliche Sensation kommt mit dem Stück Nummer acht, Donau Movies: "Let me call you Donau, like the sea in the river that flows in me ..." Selbst unter allergrößter Energieanstrengung, all seine Hemmungen fahren zu lassen: Unsere diversen heimischen, auf englisch singenden Popkaiser zwischen Gars am Kamp und Lunz am See hätten sich solch einen Text mit zumindest 95-prozentiger Sicherheit nicht zu schreiben getraut. Aber wer will einem Norweger schon wirklich böse sein? This is Zartcore!
(DER STANDARD, Printausgabe, 27.12.2002)