Wien/Leipzig/Mannheim - Der Widerstand gegen die am 1. August 1998 in Kraft getretene jüngste Rechtschreibreform hat den Geschäftsführer der zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, Klaus Heller, nicht überrascht. Das sei auch vor hundert Jahren nicht anders gewesen, als am 1. Jänner 1903 erstmals eine einheitliche Regelung der deutschen Rechtschreibung für die Behörden im Deutschen Reich, in der Schweiz und in Österreich eingeführt wurde, so Heller. Unter anderem vereinheitlichte das Regelwerk die t/th-Schreibung und brachte eine einheitliche ß-Schreibung.

"Neuregelungen der Rechtschreibung treffen auf sehr eingefahrene Verhaltensweisen. Sie brauchen daher Zeit, bis sie sich durchsetzen", sagt Heller. Vor hundert Jahren seien es die gleichen Personenkreise - Schriftsteller und Wissenschafter - gewesen, die gegen die Neuregelungen gewettert hätten. Auch damals sei zur Gewöhnung eine großzügige Übergangsfrist bis 1908 gewährt worden.

Buchdruck

1774, im selben Jahr, in dem Maria Theresia die "Allgemeine Schulordnung" erließ, erschien auch eine "Anleitung zur deutschen Rechtschreibung. Zum Gebrauche der deutschen Schulen in den kaiserlich-königlichen Staaten". Den Regeln wurde ein "alphabetisches Verzeichniß" von etwa fünfhundert Wörtern angefügt, deren Schreibung Schwierigkeiten machte.

Seit der Erfindung des Buchdrucks waren es bis ins 19. Jahrhundert die Setzer und Buchdrucker, die für eine geregelte und einigermaßen einheitliche Schreibung sorgten. Eine verbindliche staatliche oder gar internationale Regelung gab es nicht. Erst mit dem Aufkommen der Nationalstaaten und der verbesserten Schulbildung für breite Bevölkerungsschichten gelangte um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine einheitliche Rechtschreibung auf die politische Agenda. Privatgelehrte, Sprachwissenschafter und Schulexperten überboten sich in den folgenden Jahren an Vorschlägen und eigenen Wörterbüchern.

Die erste internationale Konferenz zur "Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung" tagte 1876 in Berlin. Sie führte allerdings zu keiner Gesamtlösung. Die in den einzelnen Ländern üblichen Regelwerke - in Österreich gab es seit 1879 "Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung" - fanden einen starken Konkurrenten in Konrad Duden und seinem Wörterbuch, das 1880 erstmals auf den Markt kam. Seit damals gibt es auch den Trend zu verschiedenen Schreibvarianten (Doppelformen), unter denen der Benutzer frei wählen kann.

Hundert Ansätze

Die zweite Orthographiekonferenz fand 1901 ebenfalls in Berlin statt. Das Ergebnis wurde ein Jahr später publiziert und trat am 1. Jänner 1903 auch in Kraft, die Schulen folgten mit dem Schuljahreswechsel am 1. April. Die ausdrückliche Ausrichtung der Konferenz auf Einheitlichkeit hatte aber auch ihren Preis: Einfachheit und Klarheit der Regeln blieben in vielen Bereichen auf der Strecke.

Nach 1903 gab es nach Hellers Schätzung etwa hundert Ansätze, die deutsche Rechtschreibung zu vereinfachen. Bis in die 90er Jahre aber scheiterten sämtliche Empfehlungen. Erst 1994 einigte sich eine internationale Fachkommission auf die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, die fortan als "Rechtschreibreform" Schlagzeilen machte. 1996 unterzeichneten Deutschland, Österreich und die Schweiz sowie fünf weitere Staaten gegen alle Proteste die Wiener Absichtserklärung zur Neuregelung. Die Übergangsfrist von der alten zur neuen Rechtschreibung in Schulen und Behörden läuft bis zum 31. Juli 2005. (APA/dpa)