Wasser, wohin das Auge reicht. Würde man die 180 großflächigen Bilder dieses Prachtbandes aneinander kleben, würde sich schon ein kleines Meerchen ausgehen. Und mit der feuchten Atmosphäre haut es auch hin, denn in die Fotos des mehrere Kilo schweren Bilderbuchs lässt es sich so richtig schön reintauchen. Dreißig Jahre lang fotografierte Philip Plisson die Weltmeere, ihre Launen und so manches, was auf ihnen umherschippert oder an seinen Stränden und Klippen kreucht, fleucht, schuftet oder einfach nur dahinspaziert. 220.000 Fotos wurden vom Franzosen gemacht, im vorliegenden Band namens Das Meer wird die Quintessenz präsentiert und von Texten des französischen Schreibers Yann Queffélec und Eliane Georges begleitet.

Zu sehen sind Fischersleute mit lederner Miene, Schiffsschrauben so groß wie Häuser, Leuchttürme, die infernalen Wellen standhalten oder aus irisch-grünen Wiesen herausstechen. Segler kommen beim Schmökern ebenso auf ihre Kosten wie Badewannenkapitäne und Strandläufer. Fernwehleidigen wird allerdings ans Herz gelegt, das Buch erst vor dem Antritt der nächsten Reise ans Meer zu begutachten. Konzentriert man sich auf die Bilder, und das fällt nicht schwer, gelangt man in die Nähe einer Ahnung von dem, was die Weltumseglerin Isabelle Autissier meinte, als sie sagte: "So wie ein Steuermann im scheinbaren Chaos der Wellen den inneren Rhythmus des Seegangs sucht, so passt sich ein jeder auf eigene Art dem Zeitmaß des Meeres an."

Gewidmet ist das Buch Eric Tabarly, wohl einem der weltbesten Segler, der trotzdem oder vielleicht gerade deshalb vor vier Jahren nachts über Bord ging und im dunklen Meer verschwand. (Michael Hausenblas/DER STANDARD, Printausgabe, 28.12.2002)