Niemand "wirbt" für die anonyme Geburt - wie das Landtagsabgeordnete Dr. Sigrid Pilz in ihrem Kommentar zynisch kritisiert hat. Die Stadt Wien stellte sich mit der durch Rechtsinterpretation möglichen Einführung der anonymen Schwangerschaftsbetreuung und Geburt im Juni 2001 der Realität, dass Kinder weggelegt wurden und sich - beispielsweise hilflos und unversorgt in einem Park liegend - in Lebensgefahr befanden.

Durch die gesetzliche Straflosstellung der anonymen Geburt wurde gesundheitliche Sicherheit für Mutter und Kind sowie Rechtssicherheit für das Spitalspersonal geschaffen. Das muss auch bei jenen bekannt gemacht werden, die nicht die üblichen Informationskanäle wie Tageszeitungen und Fernsehen nutzen. Schützenswert ist in erster Linie das Leben des Kindes. Das Wissen um die biologische Abstammung ist ohne Zweifel wichtig - daher werden alle betroffenen Frauen in langen, persönlichen Gesprächen mit Sozialarbeitern auf die Möglichkeit hingewiesen, dass das Kind zur Adoption - die anonym oder unter Bekanntgabe des Namens möglich ist - freigegeben werden kann. Rund die Hälfte der Mütter schlägt diesen Weg ein.

Zumindest entschärft

Anonyme Betreuung und Beratung während der Schwangerschaft bedeutet gesundheitliche Sicherheit für Mutter und Kind. Eine Mutter, die ihr Kind der Obhut eines der öffentlichen Spitäler der Stadt Wien überlässt - ob in der Babyklappe, an der Kinderstation oder beim Portier - bleibt straffrei, weil sie rechtlich ihr Kind keiner Gefährdung aussetzt. Realpolitisch soll so zumindest entschärft werden, was nicht zu verhindern ist.

Durch die Möglichkeit zur anonymen Geburt werden Frauen in medizinische und sozialarbeiterische Betreuung gebracht, die sie mit hoher Wahrscheinlichkeit sonst nicht aufsuchen würden. Die Einführung der anonymen Geburt hat in Wien dazu geführt, dass seit der Gesetzesänderung im Juni 2002 kein Kind mehr schutzlos in einem Park oder an einem sonstigen öffentlichen Ort zurückgelassen wurde.

Die aktuelle Debatte zeigt eines deutlich: Die Frage, ob und auf welche Art ein Kind zur Welt gebracht werden soll, entscheidet die Kindesmutter. Keine Frau lässt ihr Kind leichtfertig zurück. Die Kritik von Sigrid Pilz erstaunt mich vor allem deswegen, weil die Grünen jener Gesetzesänderung, durch welche die anonyme Geburt in Wien möglich wurde, im Wiener Landtag zugestimmt haben: "Wir Wiener Grüne sind, wie der Vorschlag es auch vorsieht, durchaus der Meinung, dass Frauen in Not mit allen zu Gebote stehenden Mitteln geholfen werden soll und werden daher auch zustimmen."

Überdies sind alle angeführten Argumente mehreren Ausgaben des Spiegel entnommen, und geben das wieder, was die deutschen Grünen zum Thema publiziert haben. Eine eigenständige Meinung scheint einer Wiener Grün-Abgeordneten fremd zu sein. Frau Dr. Pilz geht es nur darum, anzugreifen, gleichgültig auf welche Art und sei es auch mit religionsverachtender Polemik. Als Nicht-Katholikin würde es mir niemals einfallen, mich über eine christliche oder andere Religion in dieser Art und Weise lustig zu machen.

Ich halte es für extrem unpassend, religiöse Fragen zur billigen Polemik zu benutzen und so die religiösen Gefühle anderer mit Füßen zu treten. Ihre Menschenverachtung konnte Frau Abgeordnete Dr. Pilz nicht geeigneter zum Ausdruck bringen. (DER STANDARD, Printausgabe 28./29.12.2002)