Rom - Die Ermordung des ehemaligen Kommandanten der dem Vatikan unterstellten Schweizer Garde, Alois Estermann, hatte unter anderem homosexuelle Hintergründe. Das behauptet der Journalist John Follain in einem neuen Buch. Estermann und dessen Frau Gladys Romero waren im Mai 1998 vom Schweizer Gardisten Cedric Tornay erschossen worden. Danach nahm sich der Täter selbst das Leben.

Das am Donnerstagabend in Rom vorgestellte Buch "City of Secrets" ("Stadt der Geheimnisse") bereichert die zahlreichen Hypothesen zu diesem Doppelmord um neue Facetten. John Follain, Italien-Korrespondent der Sunday Times, behauptet, Estermann sei homosexuell gewesen und habe erst nach seiner Heirat mit der Venezolanerin Gladys Meza Romero zum Kommandanten der Garde aufsteigen können.

Bei einer Beförderung übergangen

Follains Ausführungen zufolge hat der damals 23-jährige Vizekorporal die Bluttat nicht (wie der Vatikan behauptet) deshalb begangen, weil er bei einer Beförderung übergangen worden war. Tornay habe eine homosexuelle Beziehung mit Estermann gehabt, der habe ihn systematisch schikaniert und gedemütigt.

Der Autor zitiert Tornays Freund und Exdiakon Yvon Bertorello mit der Aussage, ein Viertel der Gardisten seien homosexuell, und schildert die "ständigen Reibereien" zwischen deutsch- und französischsprachigen Mitgliedern. Tornay habe erkannt, dass die Garde "anachronistisch und ineffizient" sei, seine Verbesserungsvorschläge seien aber ignoriert worden.

Der Kommandant sei Anhänger des Opus Dei gewesen und habe unter Garde-Mitglie-dern für den Laienorden geworben. Dauernde Brüskierungen und die Entdeckung, dass ihn Estermann mit einem anderen Gardisten betrog, hätten Tornay schließlich zur Verzweiflung getrieben.

Der Journalist beschuldigte den Vatikan, mit einer massiven Desinformationskampagne Tornay als Drogensüchtigen und Wahnsinnigen dargestellt und die Ermittlungen mit verdächtigter Eile abgeschlossen zu haben.

Die päpstliche Behörde habe sogar mit allen Mitteln versucht, Tornays Mutter daran zu hindern, nach dem Mord nach Rom zu reisen, um den toten Sohn ein letztes Mal zu sehen. "Der Zynismus, mit dem der Vatikan gehandelt hat, ist erschreckend", urteilt der Journalist. (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD Printausgabe 18.1.2003)