Nicht alles, was Doris Lessing geschrieben hat, ist so eingängig, logisch und gerade formuliert wie ihre Abhandlung über "Das Leben meiner Mutter". Der schmale Band erschien 1987 in der Übersetzung von Adelheid Dormagen im Verlag Klaus Wagenbach - und gerade als Hörbuch und dank der eindringlichen Art des Erzählens von Sprecherin Katharina Thalbach erhalten die Kindheits- und Jugenderinnerungen der diesjährigen Literaturnobelpreisträgerin eine ganz eigene Dimension.

Die Qualität dieses Stoffes ergibt sich zum einen aus den plastischen Erinnerungen der Autorin an ihre Kindheit in Südrhodesien, die sie quasi über die Jahrzehnte farbenprächtig konserviert wieder auferstehen lässt, solange es um Unverfängliches wie Natur, Busch, Tiere geht. Zum anderen jedoch lebt der Text durch Abstraktion: Lessing legt, wenn es um die retrospektive Analyse des Familienlebens und insbesondere um das Verhalten ihrer strengen Mutter geht, den Filter der Erkenntnis vieler vergangener Jahre über die Ereignisse und analysiert kühl und unbestechlich, aber doch auch verständnisvoll.

Sie betrachtet sich selbst, das Kind, das man in die katholische Klosterschule steckte und das den Mund über sein Unglück zu halten hatte, ebenso distanziert wie die Mutter, deren Lebensinhalt vielmehr das Wohlergehen des Vaters als das der beiden Kinder war, und die in chronischem Unglücklichsein, in ihrem Heimweh nach England und der Sehnsucht nach ihr angemessen erscheinendem gesellschaftlichem Umgang "unter den Wilden" gebieterisch die sich selbst zugedachte Rolle spielte. Die Partitur, die sie ihrer Tochter zugedacht hatte, wurde von dieser bekanntlich nie eingehalten. (Ute Woltron, DER STANDARD, Print, 7./8./9.12.2007)