Schon Australopithecus-Frauen half ein spezieller Wirbelbau, die "anderen Umstände" besser zu ertragen.
Illu: John Gurche

AnthropologInnen entdecken deutliche Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Wirbelsäulen. Aufgrund der besonderen Last, die Frauen während der Schwangerschaft zu tragen haben, hat ihnen die Evolution den Rücken gestärkt.

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London – Es ist eigentlich offensichtlich, nur hatte bisher niemand von der Wissenschaft genau genug hingeschaut. Denn jede/r kennt den Anblick einer hochschwangeren Frau: Ihr mächtiger Bauch wölbt sich nach vorne, der Rücken wirkt seltsam geschwungen, das Gesäß etwas nach hinten gestreckt.

Was der/die Beobachter/in sieht, ist zugleich ein Musterbeispiel evolutionären Wirkens. Die Haltung werdender Mütter ist nämlich das Ergebnis einer nahezu perfekten Anpassung des weiblichen Knochenbaus an die "anderen Umstände" der Schwangerschaft. Der aufrechte Gang des Menschen gilt als eine der größten Errungenschaften unserer Spezies.

Er ermöglichte unseren VorfahrInnen das Laufen über große Distanzen und erleichterte so die Besiedlung offener Graslandschaften. Die Zweibeinigkeit dürfte früheren Hominiden allerdings nicht nur Vorteile gebracht haben. Ihr ursprünglich affenartiges Skelett musste sich umgestalten. So kam die typische S-Kurve der Wirbelsäule zustande. Von entscheidender Bedeutung ist die nach vorne gerichtete Krümmung im Bereich der Lendenwirbel, die "lumbale Lordose" in der Sprache der MedizinerInnen. Sie platziert den Masseschwerpunkt des Rumpfes über die Hüften – eine Voraussetzung für stabiles Stehen und Gehen.

Umkippverhinderung

Aber was passiert bei schwangeren Frauen? Während das Baby im Bauch wächst, verlagert sich der Schwerpunkt seiner Mutter zwangsläufig nach vorne. Um nicht umzukippen, passt letztere ihre Haltung an. Sie lehnt sich zurück und verstärkt die Krümmung ihres Rückgrats. Der einzigartige Bau ihrer Wirbel kommt ihr dabei zu Hilfe, fand ein Team aus drei US-ForscherInnen der Universitäten Harvard und Texas jetzt heraus.

Die ForscherInnen untersuchten die Skelette von 59 Männern und 54 Frauen und entdeckten, dass der weibliche Lendenwirbel L3 – anders als das männliche Gegenstück – nach hinten (dorsal) keilförmig endet. Die benachbarten Wirbel und ihre Gelenke sind ebenfalls etwas anders gebaut. "Man sieht die Unterschiede nicht auf den ersten Blick", erklärt Liza Shapiro, Mitautorin der Studie, gegenüber dem STANDARD. Messbar sind sie jedoch. Bei Fossilien von Affenmenschen der Gattung Australopithecus fanden die Anthropologin und ihre KollegInnen ähnliche Merkmale.

Zusätzlich zu den anatomischen Vergleichen analysierten die ForscherInnen Haltung und Gang von 19 Frauen im Verlauf ihrer Schwangerschaft. Das Ergebnis: Werdende Mütter vergrößern den Winkel ihrer Wirbelsäule im Lendenbereich im Verhältnis zur Körperachse von 32° auf 50°. So halten sie ihren Schwerpunkt über den Hüften. Durch diese Maßnahme werden allerdings auch die Scherkräfte zwischen den Wirbeln verstärkt, was zu deren Verschiebung und vermehrt zu Rückenschmerzen führen könnte, schreiben die ExpertInnen in der neuen Ausgabe des Fachblatts Nature (Bd 450, S. 1075–1078).

Für weibliche Urmenschen dürfte dieses potenzielle Manko eine ernste Bedrohung gewesen sein. Sie waren häufig schwanger, große Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit wären für sie aber lebensgefährlich gewesen. Zu real die Gefahr, einem Raubtier zum Opfer zu fallen. Auch Behinderung bei der Nahrungssuche war ein ernstes Problem. Der spezielle Wirbelbau der Frauen gleicht die Scherkräfte wohl zu einem guten Teil aus. Er ist deshalb als evolutionäre Anpassung an den aufrechten Gang während der Schwangerschaft zu verstehen, wie die AnthropologInnen erklären. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.2. 2007)