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In der Zeit der argentinischen Militärdiktatur wurde über ein Dutzend Betriebsräte der Mercedes Benz-Niederlassung entführt und ermordet. Die Unternehmensleitung hatte mit den nationalen Strategen einer "Endlösung" eng zusammengearbeitet. Nach 20 Jahren ermitteln die Staatsanwaltschaft Nürnberg und ein argentinisches "Wahrheitstribunal" gegen den deutschen Konzern ? auf Grundlage von Recherchen einer in Uruguay lebenden deutschen Journalistin.

Argentinien 1975. Das Land brodelt vor Gewalt. Antikommunistische Todesschwadronen jagen gezielt Oppositionelle, die bewaffnete Linke will mit Entführungen, Enteignungsaktionen und Attentaten die sozialistische Revolution vorantreiben. Präsidentin Isabel Peron hat inoffiziell die Regierungsmacht ihrem obskuren "Wohlfahrtsminister" López Rega, dem Führer der Rechtsperonisten, abgegeben. Das Establishment sieht seine Herrschaft derart gefährdet, dass es sie schließlich nur mehr durch einen Militärputsch zu retten können glaubt. Der berühmte Stern des deutschen Autoherstellers gilt als Markenzeichen für Qualität. Auch in Argentinien, wo Mercedes seit Jahrzehnten eine Produktionsstätte unterhält. Unter diesem Stern fanden nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wenige der etwa 50.000 Nazis, die nach Argentinien geflüchtet waren, Schutz und Arbeit. Unter anderem arbeitete dort ein gewisser Ricardo Klement als Automechaniker. Sein Dienstverhältnis fand 1960 ein abruptes Ende, als er von Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad entführte wurde. Klement war in Wirklichkeit Adolf Eichmann, "Zionismus-Experte" im Reichssicherheitshauptamt.

Fünfzehn Jahre später, im Oktober 1975 wird ein weiterer Mercedes-Benz-Mitarbeiter Opfer einer Entführung. Es handelt sich um Heinrich Metz, den deutschen Produktionsleiter des Unternehmens. Diesmal sind die Entführer Angehörige der Guerilla-Organisation Montoneros, die sich aus dem Linksperonismus heraus entwickelt hatten.

Die Zeit der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983, jener Versuch einer lateinamerikanischen "Endlösung", der mehr als 30.000 Todesopfer forderte, ist auch heute noch ein sehr lebendiges Kapitel ungelöster Vergangenheitsbewältigung. Nach den "Schlusspunkt"-Gesetzen und der "Schwamm drüber"-Politik der darauffolgenden Präsidenten Alfonsín und Menem kehrte erst in den letzten Jahren die Wahrheit fragmentarisch ans Tageslicht, und erst vor kurzem hob ein Bundesrichter die Punto Final-Legislatur auf, was nunmehr die Strafverfolgung aller am argentinischen Holocaust Beteiligten ermöglichen dürfte.

Die Profiteure der Diktatur

Kaum ermittelt wurde jedoch bisher gegen jene, die von den Verbrechen der Militärdiktatur profitiert haben. Etwa gegen Unternehmen, die bei der Unterdrückung ihrer Belegschaft mit der staatlichen Repression zusammengearbeitet haben. Mercedes-Benz zum Beispiel, heute DaimlerChrysler. Im Werk des deutschen Weltkonzerns in González Catán, in der Nähe der Hauptstadt, "verschwand" während der Militärdiktatur praktisch der gesamte Betriebsrat. Die Hinterbliebenen vermuteten schon damals, dass die Werksleitung die unliebsamen Gewerkschafter denunziert und so ihr Todesurteil besiegelt hatte. Dies bestätigten auch die zwei Betriebsräte, die ihre Festnahme überlebten.

Die in Uruguay lebende deutsche Journalistin Gaby Weber nahm sich dieses Tabu-Themas an und begann zu recherchieren. Und brachte einen Felsen ins Rollen. In mühevoller Kleinarbeit versuchte sie zu eruieren, wer in dem Unternehmen die Verantwortung für die Ermordung der Betriebsräte trug. Das Ergebnis ihrer Untersuchungen schreibt bereits jetzt Geschichte, auch wenn der Fall noch nicht juridisch abgeschlossen ist: Der deutsche "Republikanische Anwälte- und Anwältinnenverein" erstattete auf der Grundlage von Webers Recherchen im September 1999 Strafanzeige gegen DaimlerChrysler wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 13 Fällen. Nachdem die Staatsanwaltschaften Berlin und Stuttgart die Ermittlungen eingestellt hatten, übernahm die Staatsanwaltschaft Nürnberg den Fall.

Niemand wusste, niemand sah ...

In Buenos Aires ermittelt seit drei Jahren ein so genanntes "Wahrheitstribunal" in dem Fall. Es kann wegen der geltenden Amnestiegesetze niemanden verurteilen oder bestrafen, doch es soll das Schicksal der vielen Verschwundenen der Militärdiktatur aufklären. In Sachen Mercedes Benz Argentina haben die beiden Richter Jorge Ballesteros und Leopoldo Schriffrin schon mehrere Personen einvernommen: den damaligen Gewerkschaftschef Jorge Rodríguez, den deutsch-argentinischen Produktionschef Juan Tasselkraut, Personalchef Arnoldo Ceriani -?und kürzlich auch David Filc, bis 1982 Verkaufsleiter der Firma. Da er aus "Krankheitsgründen" ein Erscheinen vor Gericht verweigert, kamen die beiden Richter zu ihm nach Hause. Filc, dessen ganze Familie in Warschau von den Nazis ermordet wurde, war zwei Monate vor Eichmanns Entführung bei Mercedes Benz eingetreten. "Damals hatten hier noch zahlreiche SS-Leute das Sagen", erinnert sich der heute 80-Jährige.

Filc weiß von hohen Ausgaben des Unternehmens für Schmiergelder an Militärs und an den Chef der regimetreuen Automobilarbeitergewerkschafter (SMATA), José Rodríguez. Der Gewerkschafter ist auch heute noch Vorsitzender von SMATA und sitzt sogar im Exekutivkomitee des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes (IMB). Ein Beispiel von Gewerkschaftssolidarität: SMATA ist eine Partnergewerkschaft der deutschen IG Metall, und deren Chef Klaus Zwickel ist auch IMB-Präsident und stellt sich immer wieder schützend vor seinen argentinischen Freund. Beim Weltkongress des IMB vergangenen Herbst wurde Rodríguez in seiner Position als Vizepräsident bestätigt ? einzig der österreichische Metallerverband forderte das IMB-Sekretariat zu einer Untersuchung der Vorwürfe gegen den argentinischen Gewerkschaftschef auf. Rodríguez gab vor dem Wahrheitstribunal an, von all den Vorfällen im Werk nichts gewusst zu haben: Er hatte die ? später ermordeten ? Betriebsräte aus der Gewerkschaft ausgeschlossen, weil sie in seinen Augen "gedungene Meuchelmörder des sklavenhalterischen Marxismus" waren.

Die "Vorfälle"

Der Todesreigen begann am 14. Dezember 1976. Knappe neun Monate zuvor hatten die Generäle die Macht an sich gerissen. An diesem 14. Dezember wurde Betriebsrat José Vizzini von zu Hause abgeholt. Die Soldaten nahmen ihm den Ehering ab und gaben ihn seiner Frau Juana: er werde ihn nicht mehr brauchen, meinten sie - wahrheitsgetreu. Anfang Jänner ging es weiter, Victor Ventura und Esteban Reimer verschwanden für immer. Bis August 1977 wurden 14 Betriebsräte entführt ? 14 Fälle sind zumindest dokumentiert; Gaby Weber schätzt die Zahl der Entführten auf zwanzig. Zwei überlebten ihre Verschleppung. Sie alle waren Organisatoren des großen Streiks bei Mercedes Benz im Oktober und November 1975 gewesen. Durch die Aktivitäten der linken Betriebsräte ? in Auseinandersetzung mit der korrupten Gewerkschaft SMATA ? war die Produktivität im Werk um über die Hälfte gesunken; nach ihrem Verschwinden pendelte sich die Produktivität wieder auf dem normalen Stand ein.

Juan Tasselkraut, damals und bis Ende 2001 Produktionschef im Mercedes-Werk, auf die Frage eines Richters, ob dies mit den Morden zu tun habe: "Wunder gibt es nicht, Euer Ehren". Einer der beiden überlebenden Betriebsräte, Héctor Ratto, berichtete später, wie ihn ein Lastwagen der Armee vom Firmengelände abholte, er ins Folterzentrum Campo de Mayo gebracht wurde und aus einer Nebenzelle die Stimmen von entführten Betriebsratskollegen hörte. Der Justiziar des Unternehmens, Rubén Cueva, der der politischen Polizei eine Liste mit Namen, Privatadressen und anderen persönlichen Daten der Betriebsräte übergeben hatte, berichtete bei seiner Einvernahme vor dem Wahrheitstribunal, dass Mercedes Benz den umliegenden Kommissariaten häufig "Geschenke""gemacht habe. Unter anderem auch dem Militärhospital der Kaserne Campo de Mayo. Dort brachten gefangene Frauen ihre Kinder zur Welt. Die meisten Mütter wurden nachher ermordet, die Kinder zur "Adoption" für Militärs freigegeben. Einer der Folter-Chefs in Campo de Mayo, der auch eines dieser Kleinkinder adoptierte, war Rubén Lavallen. In Anerkennung seiner Verdienste wurde er 1978 zum Werkschutzleiter von Mercedes Benz ernannt.

Ein Außenminister als Brandstifter

Carlos Ruckauf ist eine politische Eminenz in Argentinien. Der heutige Außenminister der Regierung Duhalde war vorher Gouverneur der Provinz Buenos Aires und in den 70er-Jahren Arbeitsminister. Paradoxerweise belastet den Langzeitminister ein Briefwechsel zwischen Hanns-Martin Schleyer, damals Vorstandsmitglied von Daimler Benz (und später von der RAF ermordet), und dem IMB-Präsidenten Eugen Loderer. Im Mai 1976 schrieb Schleyer an Loderer: "Die Handlungsweise der Geschäftsleitung von Mercedes Benz Argentinien (115 streikende Arbeiter zu entlassen; Anm.) verdeutlicht zugleich, dass sie das Bestreben von Arbeitsministerium und SMATA, subversive Elemente aus den Fabriken auszuschalten, unterstützen wollte." Am 6. Oktober 1975, zwei Tage vor Beginn des großen Streiks bei Mercedes, hatte Arbeitsminister Ruckauf ein Dekret unterzeichnet, das die "Ausschaltung von Subversiven" aus argentinischen Betrieben forderte.

Eine Gruppe von Familienangehörigen der Verschwundenen von Mercedes Benz hat nun Klage gegen José Rodríguez und Carlos Ruckauf wegen Beihilfe zum Mord eingereicht. Die "Gruppe der Kritischen Aktionäre" von DaimlerChrysler in Deutschland unterstützt die Klage und hofft, dass dadurch "die Wahrheit ans Tageslicht komme und die Verantwortlichen der Verbrechen verurteilt werden."

Mord auch bei Ford

Auch beim Automobilkonzern Ford gab es offenbar eine enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung, der Gewerkschaft SMATA und dem Militär in der "Ausschaltung von subversiven Elementen". Hier siedelten sich die Folterer sogar direkt im Betriebsgelände an. Laut Staatsanwalt Félix Crous, der im vergangenen September eine Strafanzeige gegen Ford einreichte, habe sich die Fabrik in eine Kaserne verwandelt: "Gleich nach dem 24. März (dem Tag des Militärputsches im Jahre 1976; Anm.) haben die Militärs einen Teil des Areals besetzt und dort ein Lager errichtet; am selben Tag noch begannen die Entführungen von Arbeitern." Die Soldaten führten am Fabriksgelände Kontrollen durch und benützten die Fahrzeuge des Unternehmens.

Betriebsrat Pedro Norberto Troiani markierte am 13. April 1976 um halb sechs Uhr morgens seine Personalkarte in der Stechuhr. Wenige Stunden später wurde er von zehn schwerbewaffneten Uniformierten abgeholt und zuerst in die "Kaserne" auf dem Fabriksgelände gebracht, wo er fünf Arbeitskollegen in Handschellen vorfand. In der Nacht wurden sie in ein Folterzentrum außerhalb der Hauptstadt gebracht, wo Troiani fünfzig Tage verbrachte, darauf folgten eineinhalb Jahre Gefängnis.

Im Gegensatz zu Mercedes Benz sind die Vorgänge bei Ford noch wenig recherchiert. Insgesamt wurden 25 Betriebsräte von den Militärs festgenommen. Richter Rodolfo Canicoba Corral, bei dem die Anzeige des Staatsanwalts landete, muss nun den Fall untersuchen.

Mercedes sucht Klärung

Gaby Weber präsentierte ihre Recherchen über Mercedes Benz Argentina Ende August 1999 im deutschen Sender WDR3. Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kalecek hat daraufhin Anzeige gegen "unbekannte Manager" in Stuttgart und Buenos Aires eingereicht. Nun begannen sich immer mehr Medien für den Fall zu interessieren, besonders nach dem Erscheinen von Webers Buch "Die Verschwundenen von Mercedes-Benz".

Jeweils im April 2001 und 2002 trat die Journalistin bei der Hauptversammlung der Aktionäre von DaimlerChrysler auf, eingeladen von einer Gruppe "Kritischer Aktionäre". Die Unternehmensführung konnte nun nicht mehr umhin, sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen. Aufsichtsratsvorsitzender Hilmar Kopper erklärte schließlich, ihm seien die Menschenrechte wichtig und er nähme die Vorwürfe ernst.

Auf Grund der Öffentlichkeit, die der Fall mittlerweile erzielte, hat DaimlerChrysler im vergangenen Oktober entschieden, eine unabhängige Untersuchungskommission einzurichten ? ein Vorschlag vom Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Erich Klemm. Die Leitung soll ein argentinischer Theologe übernehmen, der Mercedes-Chef Jürgen Schrempp hat seine Bereitschaft zur Mitarbeit erklärt.

Auch ein anderes Detail dieser dunklen Geschichte ist noch aufklärungsbedürftig: das Lösegeld für den entführten Produktionsleiter Heinrich Metz. Gaby Weber eruierte die Leute, die damals das Lösegeld in Empfang nahmen. Sie sprechen von zwei Millionen Dollar. Die Mercedes-Manager gaben eine eidesstattliche Versicherung ab, vier Millionen übergeben zu haben. Und Mercedes-Benz hat gegenüber dem Finanzamt in Stuttgart 7,5 Millionen Dollar Lösegeld als "Betriebsausgabe" abgeschrieben.

Ex-Verkaufschef David Filc, der sich selbst als "der Jude im Vorstand" definiert, ist heute froh, 1982 ? auf Drängen seiner Frau ? aus der Firma ausgeschieden zu sein. Während Filc mit Folteroffizieren wie dem berüchtigten Carlos Guillermo Suárez Mason zu Mittag speiste, wurden Verwandte seiner Frau als Guerilleros verfolgt. Sohn Daniel zog 1984 nach Tel Aviv. Er leitet dort die Organisation "Ärzte für Menschenrechte" und ist in der Bewegung der Kriegsdienstverweigerer in den besetzten Gebieten aktiv. David Filc ist stolz auf seinen Sohn. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.2.2003)