Sarah Diehl (Hg.).
Deproduktion. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext.
Alibri Verlag 2006.
250 Seiten / 17,50 Euro.
ISBN 978-3-86569-016-6
Buchcover
Sarah Diehl, die Herausgeberin des Sammelbandes, ortet in den Debatten um Abtreibung ein hohes Maß an Bigotterie. Sie schlägt vor, das Thema Abtreibung verstärkt mit der Dekonstruktion herrschender Geschlechterrollen zusammen zu denken.
Sarah Diehl

Im Sammelband "Deproduktion. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext" werden historische Entwicklungen und gegenwärtige Politiken in verschiedenen Ländern – u.a. in Argentinien, Südafrika, Eritrea, Nigeria, Nicaragua und den USA – mit Analysen medialer Bilder sowie persönlichen Erfahrungsberichten zum Thema Abtreibung zusammengeführt.

Die Vielfalt der Beiträge in "Deproduktion" zeigt nicht nur auf, wie anhand des umstrittenen Themas Schwangerschaftsabbruch herrschende Vorstellungen von Weiblichkeit und Reproduktionsarbeit von Frauen gesellschaftlich verhandelt werden, sondern macht zudem deutlich, dass das "Recht jedes Menschen auf reproduktive Gesundheit", das auf der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994 ratifiziert wurde, vielerorts – sowohl in den Ländern des "Westens" als auch in jenen des "Südens" – noch immer nicht eingelöst ist.

Zusammengestellt wurde der Sammelband von der Berliner Autorin und Kulturwissenschafterin Sarah Diehl, die 2004 auch die Anthologie "Brüste kriegen" (Verbrecher Verlag, Berlin 2004) herausgab. Derzeit arbeitet sie am Dokumentarfilm "Abortion Democracy", der die gesetzlichen Regelungen zur Abtreibung in Südafrika und Polen vergleicht und im Sommer 2008 fertiggestellt werden wird.

dieStandard.at: Wie kam es zur Entstehung der Anthologie "Deproduktion" und welche Motivation steht dahinter?

Sarah Diehl: Bei meiner Arbeit an der Anthologie "Brüste Kriegen", die Kurzgeschichten und Interviews rund um die Frage "Wie werden Kinder zu Frauen?" beinhalten, wurde mir klar, dass man anhand des Themas Abtreibung viele Probleme in der Reproduktionsarbeit aufzeigen kann.

Mir fiel aber auch auf, dass es vor allem keine deutschsprachigen Publikationen gibt, die sich dem Thema in einem internationalen Kontext annehmen. Obwohl etwa ein Drittel aller Frauen weltweit in ihrem Leben wenigstens eine Abtreibung hat, ist deren Erfahrung immer noch kein Thema, das gesellschaftlich Raum einnimmt.

In der Literatur, in Spielfilmen und in der Kunst gibt es nur sehr rare Beispiele für eine Auseinandersetzung mit der Thematik. Und politisch und moralisch werden abstrakte Diskussionen geführt, die dann von den Frauen ausgebadet werden müssen. Frauen haben oft nur die Möglichkeit ihre Erfahrungen mit Abtreibung im Zerrspiegel der moralischen, religiösen und politischen Kämpfe zu erleben.

dieStandard.at: Welche Konsequenzen hat die Illegalisierung von Abtreibung, wie sie wiederholt eingefordert wird bzw. in jüngster Zeit auch in einigen Ländern (siehe Nicaragua) tatsächlich durchgesetzt wurde?

Sarah Diehl: Man kann feststellen, dass Frauen, wenn sie sich aus ökonomischen oder sozialen Gründen dazu gezwungen sehen, abzutreiben, es auch tun. Das Verbot von Abtreibungen hat zum einen sehr viel mit dem Einfluss der Kirche zu tun und damit, in wie weit die Frau und ihre Reproduktionsfähigkeit noch als Eigentum des Mannes bzw. der Familie oder des Staates gesehen wird, zum anderen mit der Qualität der medizinischen Versorgung im jeweiligen Land.

Eine Studie der WHO besagt, dass weltweit alle sieben Minuten eine Frau an einem medizinisch nicht fachgerecht durchgeführten Abbruch stirbt, da die gesetzlichen Bestimmung ihres Landes diesen verbieten. Damit sind unsichere Schwangerschaftsabbrüche der Hauptgrund für die Sterblichkeit von schwangeren Frauen.

Zugleich ist Abtreibung in vielen Ländern ein lukratives Geschäft geworden, weshalb ÄrztInnen oft gar kein Interesse an deren Legalisierung haben, da illegale Abbrüche wegen der Erpressbarkeit der Frauen ein gutes Nebeneinkommen gewährleisten.

Die Debatten um Abtreibung sind ja von einem hohen Maß an Bigotterie geprägt: Frauen wird die Verantwortlichkeit für ihre Gebärfähigkeit und ihre Kinder aufbürdet oder sie werden sozial stigmatisiert und der Gefahr der Verelendung aussetzt, Mittel zur Familienplanung werden ihnen aber untersagt.

dieStandard.at: Kann das Thema Schwangerschaftsabbruch ohne die Themen Bevölkerungspolitik und neue Reproduktionstechnologien überhaupt diskutiert werden?

Sarah Diehl: Nein, das sollte es nicht, da bei der Befürwortung oder dem Verbot von Abtreibung der Staat auch immer ein bevölkerungspolitisches Interesse verfolgt. Es kann auch nicht darum gehen, Abtreibung unter allem Umständen als befreiend für die Frau darzustellen, denn oft werden Schwangerschaftsabbrüche auch notwendig, damit andere Probleme wie z.B. ökonomische Abhängigkeit, Armut, Prekarität, soziale Stigmatisierung und die Diskriminierung von Behinderung nicht verhandelt werden müssen.

dieStandard.at: Wie lassen sich die Strategien der AbtreibungsgegnerInnen in internationaler Perspektive miteinander vergleichen?

Sarah Diehl: Wenn AbtreibungsgegnerInnen keine Chance sehen, gegen das legale Recht auf Abbrüche vorzugehen, dann versuchen sie das Gesundheitspersonal auf ihre Seite zu ziehen oder unter Druck zu setzen. Ärzte und Krankenpersonal haben z.B. die Möglichkeit durch das Verlangen von unnötigen Dokumenten, falsche oder manipulative Informationen, Vermittlung von Schuldgefühlen etc. direkt auf den Zugang von Frauen zu sicheren Abbrüchen einzuwirken.

In manchen europäischen Städten wie Salzburg oder Passau haben sich ÄrztInnen bereits kollektiv geweigert Abtreibungen durchzuführen. Das Argument der "moralischen Bedenken" weitet sich in einigen Ländern paradoxerweise sogar auf Verhütungsmittel aus – das Mittel, mit dem man ungewollte Schwangerschaften und somit Abbrüche am besten vermeiden kann.

Dies geht so weit, dass AbtreibungsgegnerInnen es mit ihrer Lobbyarbeit schafften, dass in den USA bereits in drei Bundesstaaten Gesetze verabschiedet wurden, die ApothekerInnen erlauben, aus moralischen Bedenken die Herausgabe von Verhütungsmitteln und der so genannten Pille danach zu verweigern.

Dass 2004 in Texas sogar ein Apotheker in einem Fall von Vergewaltigung die Herausgabe der Pille danach verweigerte, gibt einen beunruhigenden Ausblick darauf, wie die reproduktiven Rechte von Frauen mit dem Argument ethischer Befindlichkeiten des Gesundheitspersonals auf dem Spiel stehen.

Festzustellen ist auch, dass die wichtigsten und griffigsten Domains bzw. Internetadressen zum Thema Abtreibung von deren GegnerInnen in Beschlag genommen worden sind. Sites von rechtskonservativen AbtreibungsgegnerInnen sind oft derart gestaltet, dass sie sich als Hilfsangebote für Frauen und coole Teenagersites verkleiden, um Meinungshoheit zu erlangen.

Offensichtlich ist das Thema Abtreibung von feministischen Gruppen in Bezug auf die Informationspolitik im Internet bisher vernachlässigt worden. Bei einem Thema wie Abtreibung, das so emotional augeladen ist, ist es auch leicht mittels Bilder zu manipulieren. Denn unabhängig davon, was in einem Fötus wann funktioniert oder wie schmerzempfindlich dieser ist, sieht er bereits in einem sehr frühen Stadion menschenähnlich aus, weshalb seine Darstellung leicht zu populistischen Zwecken missbraucht werden kann und wird.

dieStandard.at: In der Einleitung zur Anthologie schlagen Sie vor, das Thema Abtreibung verstärkt mit der Dekonstruktion herrschender Geschlechterrollen zusammen zu denken. Auf welche Weise können reproduktive Politiken aus einer antiessenzialistischen Position betrieben werden?

Sarah Diehl: Die Institution der Heterosexualität bezieht ihre natürliche Legitimation vor allem aus der zweigeschlechtlichen Reproduktion. Diese zu unterlaufen, die gesellschaftliche Konstruktion von Mütterlichkeit und Väterlichkeit zu hinterfragen und sich dem "natürlichen" Schicksal und der heterosexistischen Arbeitsteilung durch einen Schwangerschaftsabbruch zu verweigern, sind für die Dekonstruktion der Kategorie Gender sehr hilfreiche Tools.

Ein biologistisches Konstrukt wie der "Mutterinstinkt" kann angesichts der Abbruchzahlen nicht aufrechterhalten werden. Die Einforderung einer geschlechtergerechten Arbeitsteilung in der Pflege und Erziehungsarbeit kann durch die selbstverständliche und nicht moralisch verklärte Einforderung des Abbruchs unterstützt werden, da sie Frau emotional weniger erpressbar macht. (Vina Yun, dieStandard.at, 24. Jänner 2008)