Jane Austens "Emma" kannte ihren Wert - heute ist dieses Wissen sehr viel unsicherer geworden.
Cover: Emma/Jane Austen/Insel Taschenbuch

Das Thema versprach großen BesucherInnen-Andrang: "Liebesverhältnisse" gehen schließlich alle an! Und so kam es auch, dass vergangenes Wochenende nicht alle Gäste, die beim Symposium "Liebesverhältnisse" mithören wollten, Platz im Saal der Wiener Kunstakademie fanden. Auf Einladung des Instituts für Kunst und Kulturwissenschaften und Context XXI referierten zwei Größen der Sozial- und Kulturwissenschaften: Die israelische Soziologin Eva Illouz, breit rezipiert durch ihre Schriften "Consuming the Romantic Utopia" (2003) sowie den Vorlesungs-Sammelband "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus" (2006), gab Einblick in ihre neuesten Forschungsergebnisse zum Thema Bindungsängste bei Männern. Als zweiter Referent war der deutsche Literaturwissenschaftler und linke Kulturkritiker Klaus Theweleit ("Männerphantasien") eingeladen, der zur Objektwahl "mediale Frau" und den damit verbundenen "Personenverzehr" sprach.

Bindungsängste von Männern

In ihrem Vortrag führte Eva Illouz aus, dass Bindungsängste bei Männern in modernen Beziehungen eine reale Größe sind, soweit dies aus der Diskursanalyse von Interviews, Ratgeberliteratur und Beiträgen in einschlägigen Internet-Foren ersichtlich wurde. Illouz ordnete die Selbst- und Außenbezeugung von Bindungsängsten als Ausdruck einer moralischen Panik ein, die stark mit der Psychologisierung aller Lebensbereiche in der US-amerikanischen Gesellschaft verknüpft sei. Die Pathologisierung des Selbst, wozu inzwischen auch Männer neigen, sei Resultat dieser Denkrichtung, in der permanent an der Errichtung eines essentiellen Selbst gearbeitet wird. Diese Arbeit am Ich habe jedoch auch die paradoxe Konsequenz, dass wir "rational" mit unseren Gefühlen umzugehen lernen: "Wir kennen unsere Interessen und Bedürfnisse und versuchen, diese umzusetzen", lautet die Konsequenz.

Liebe tut weh

Um zu erklären, warum Liebe ausgerechnet heute so weh tut, verglich die Soziologin aktuelle Liebesbeziehungen mit Arrangements vergangener Zeiten, explizit mit jenen niedergeschrieben durch Jane Austen in ihrem Roman "Emma". Die Tochter eines betuchten Landgutbesitzers wusste genau, was sie wert ist - ein hierarchisches und undurchlässiges Gesellschaftssystem wies ihr den Platz in der Welt zu. Ganz anders verhält es sich fast 200 Jahre später, in der Werte kaum noch gesellschaftlich und kulturell produziert werden und Individuen zunehmend selbst für die Schaffung ihres Selbstwertes verantwortlich sind. Die romantische Liebesbeziehung wird so zum Ersatz eines äußeren Werterahmens, der das Selbst stützt und zur zentralen Quelle des Selbstbewusstseins. Männer, so die Analyse Illouz, scheuen sich vor der Verantwortung, diesen Part zu übernehmen, und das nicht nur aus Egoismus, sondern weil sie fürchten, das dazugehörige Versprechen nicht halten zu können. Das kulturelle Leitbild des therapeutischen Selbst schreibt schließlich vor, permanent Selbstverbesserung zu betreiben - was sich nicht unbedingt mit langfristigen Beziehungen verträgt.

Warum immer weniger Paarbindungen gelingen, erklärte Illouz zudem mit der Potenzierung der Wahlmöglichkeiten, die bei Menschen Ambivalenz in Hinblick auf ihre Gefühle erzeugen. Angesichts potenziell unendlicher Auswahl muss sich jede Entscheidung befragen lassen, ob auch wirklich die beste aller möglichen Partnerschaften ausgewählt wurde, ob die Partnerschaft den eigenen Bedürfnissen auch wirklich am besten entspricht. Das Prinzip der "Maximierung" in der PartnerInnenwahl mache aber nicht zufrieden, sondern erzeugt Unzufriedenheit, Unsicherheit und Bindungsangst, so Illouz.

Psychoanalyse und Feminismus

Als WegbereiterInnen des therapeutischen Selbst gelten für Illouz Psychoanalyse und Feminismus. Beide Denkrichtungen hätten die Familie als prägenden Ort für die Entwicklung und Verletzungen von Individuen bestimmt, woraus beide unterschiedliche Konsequenzen zogen. Die Psychoanalyse propagiere die Arbeit am Ich, der Feminismus fordere mehr Wahlmöglichkeit und persönliche Autonomie für Frauen.

Liebesweise "mediale Frau"

Im zweiten Teil der Veranstaltung wanderte die Betrachtung von der soziologischen zur inneren: Klaus Theweleits lang gedientes Analysemodell zur Geringschätzung des Weiblichen in der westlichen Kultur ist die Psychoanalyse. Ausgehend von Freuds zwei Modellen der PartnerInnenwahl von Narzissmus (Objektwahl nach dem eigenen Ich) oder Anlehnung (Objektwahl nach der Mutter) begab sich der Kulturwissenschaftler auf Recherche bei mehr oder weniger bekannten KünstlerInnen-Paaren. Als Kategorie führte er die Liebesweise "mediale Frau" ein, eine Partnerin, die sich mit technischen Fähigkeiten, die für das Werk des Mannes zentral sind, einbringt. Als Beispiel für den in diesen Beziehungen stattfindenden Gebrauch bzw. "Verbrauch" von Personen beschrieb er u.a. die Verbindung zwischen Alfred Hitchcock und seiner langjährigen Ehefrau Alma Reville, die für die Erfüllung der Karriere des Mannes ihre eigenen Regie-Ambitionen aufgab und ihrem Mann nach der Eheschließung als Cutterin und Beraterin beistand.

Wenngleich der Zusammenhang der beiden Vorträge nicht wirklich ersichtlich war, zeugten die beiden Ansätze von der möglichen Vielfalt in der Auseinandersetzung zum sozialen Verhältnis Liebe. Unklar blieb, warum Illouz Bindungsängste als rein männliches Phänomen darstellte und Frauen lediglich als jene aufscheinen ließ, die über 30 der "kulturellen Konstruktion biologischer Gesetze" erliegen. Die vom Publikum kritisierte ideologische Nähe von Illouz' Theorien zu neokonservativen Ansichten, wonach mehr Freiheiten/Wahlmöglichkeiten Menschen unglücklich machen, und die Gefahr der Vereinnahmung "linker Forschung" in "rechte Politik" konnte Illouz nicht entkräften. Auch Klaus Theweleit wusste auf die Einforderung queerer Paar- und Lebenskonzepte in seine Denkfiguren nur mit bestätigendem Kopfnicken zu reagieren. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 27.1.2008)