London - Die britische Regierung hat sich am Freitag gegen den Vorwurf verteidigen müssen, die Öffentlichkeit mit einem "Geheimdienst-Dossier" zum Irak getäuscht zu haben. Unabhängige Wissenschafter warfen der Regierung von Premierminister Tony Blair vor, die angeblich bisher geheimen Informationen großenteils aus Studien zusammengestellt zu haben, die seit Jahren frei verfügbar sind.

Dossier sollte Bevölkerung überzeugen

Das am Montag veröffentlichte Dossier war von US-Außenminister Colin Powell bei seinem Vortrag vor dem UNO-Sicherheitsrat besonders gewürdigt worden. Mit dem Dossier will die britische Regierung die Bevölkerung von der Notwendigkeit eines entschiedenen Vorgehens gegen den irakischen Präsidenten Saddam Hussein überzeugen.

Dan Plesch, ein Verteidigungsexperte des Royal United Service Institute in London, sagte dem Sender "Channel 4": "Dieses Dokument wird der britischen Öffentlichkeit ganz klar als Erzeugnis der britischen Geheimdienste präsentiert - was es ganz klar nicht ist. Das scheint eine veraltete wissenschaftliche Analyse zu sein, aufgemacht als das Beste, was (der Geheimdienst) MI6 und unsere internationalen Partner zu Saddam zu bieten haben. Das Wort "skandalös" ist in unserer politischen Kultur ziemlich abgedroschen, aber hier trifft es ganz sicher zu."

Laut "Channel 4" bis zu zwölf Jahre alt

Die Informationen in dem Dossier sind nach Recherchen von "Channel 4" bis zu zwölf Jahre alt. Zum Teil stammten sie aus einer Arbeit des 29-jährigen Wissenschaftlers Ibrahim al-Marashi aus Kalifornien. "Zuerst war ich geschmeichelt - und dann überrascht, dass sie mich nicht zitiert haben", sagte al-Marashi der "Times". "Künftig werde ich misstrauischer sein, wenn ich etwas vom britischen Geheimdienst lese." Das Material sei zusammengeklaubt und veraltet. "Die haben sogar meine Fehler dringelassen."

Der Politik-Dozent Glen Rangwala sagte: "Ich war ziemlich bestürzt, als ich erkannte, dass ich das meiste schon vorher gelesen hatte." Das Dossier beweise, dass die britische Regierung über den Irak auch nicht mehr wisse, als öffentlich seit langem bekannt sei.

Blair-Sprecher: "Entscheidend ist, dass die Angaben stimmen"

Ein Sprecher von Blair betonte dagegen, die Regierung habe nie behauptet, dass die Quellen für das Dossier ausschließlich Geheimdienst-Berichte seien. Entscheidend sei, dass die Angaben stimmten. Doch die Labour-Abgeordnete und ehemalige Staatssekretärin Glenda Jackson sagte, wenn die Vorwürfe stimmten, sei das Dossier "ein weiteres Beispiel dafür, wie die Regierung das Land und das Parlament beim Thema eines möglichen Irak-Krieges zu täuschen versucht". Die Regierung habe dann gelogen.

London entschuldigt sich

Die britische Regierung hat sich am Freitag dafür entschuldigt, veröffentlichte Aussagen eines US-Wissenschaftlers in ihrem jüngsten Irak-Dossier ohne Quellenangabe verwendet zu haben. Die Regierung hätte kenntlich machen müssen, dass Teile des Dokuments auf der Arbeit von Ibrahim al-Marashi vom Zentrum für Studien zur Nichtverbreitung von Waffen in Kalifornien beruhten, erklärte das Büro von Premierminister Tony Blair.(APA/dpa)