Walburga Litschauer glaubt, dass die Zeit des Biedermeier, Schuberts Zeit, falsch verstanden wird.
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An der Stirnwand hinter dem Schreibtisch hängen drei Bilder von Franz Schubert. Rückendeckung geben mehrere biedermeierliche Bücherschränke, aus denen Walburga Litschauer alle zehn Minuten Publikationen zutage fördert mit den Worten: "Das muss ich Ihnen zeigen." Was sie herausfindet, soll "nicht im Regal verschwinden, sondern aufgeführt und gespielt werden".

Seit 1980 arbeitet die Musikwissenschafterin in verschiedenen Räumlichkeiten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an der neuen Schubert-Gesamtausgabe im Auftrag der Internationalen Schubert-Gesellschaft in Tübingen. Dabei war ihr wirklich "noch nie langweilig".

Die Werke des Komponisten werden – hauptsächlich aus finanziellen Gründen – seit 1965 in Deutschland neu editiert. Gerade hat die 53-Jährige den 70. Band (von 83 geplanten) abgeschlossen – mit den ersten Werken für Klavier zu vier Händen.

Schon mit zehn stand für die Klagenfurterin, deren Steckenpferd die Musikgeschichte Kärntens ist, fest: "Ich studiere Musik." Für eine Konzertpianistinnenkarriere war sie eher spät dran, aber man ließ das Einzelkind gewähren: am Stutzflügel im Wohnzimmer, in der Musikschule in Völkermarkt und später am Landeskonservatorium. Ihr erstes Geld verdiente sie "mit Seiten umblättern, stillsitzen und nicht husten", vermerkt sie ironisch. Am meisten Freude machte ihr das gemeinsame Spielen, und sie tut es bis heute in mehreren Hausmusikgruppen. Beim vierhändigen Bearbeiten der Klaviatur ist sie unerschrocken: "Da spiel ich alles." Lieblingskomponisten hat sie nicht: "Für mich gibt es nur gute und schlechte Musik."

Ihre wissenschaftliche Arbeit begann nach dem Studium von Musik- und Theaterwissenschaften an der Universität Wien und einer Klavierausbildung am Konservatorium (Meisterklasse Bohnenstingl) streng genommen mit Anton Bruckner.

Fakten und Quellen statt Gerüchte und Kitsch

Sie freut sich, ihr Hobby zum Beruf gemacht zu haben, und ist stolz, sich damit immer selbst erhalten zu haben. Gerüchte und Kitsch rund um den Menschen Franz Schubert sind nicht ihr Ding, eher ein integrativer Ansatz, der das gesamte Umfeld umfasst. Die habilitierte Schubert-Fachfrau hält sich an Fakten und Quellen, was auch detektivische Feinarbeit bedeutet. So hat sie Wasserzeichen auf dem verwendeten Notenpapier zur Datierung genutzt, denn: "Schubert war ein Schnell- und Vielschreiber, da ist nichts gelagert worden."

Es gibt im Gegensatz zu anderen KomponistInnen wenige Äußerungen von ihm selbst, aber ihr untrüglicher Instinkt führte die Forscherin auch schon zu einem wertvollen Dachbodenfund in ihrer Heimat mit einem Konvolut an Briefen. Auch die Bilder von Leopold Kupelwieser verraten einiges über den eingeschworenen Freundeskreis, für den Schubert sehr häufig – manchmal unwillig – zum Tanz aufspielte. Schubert schrieb einige "Hits" der Biedermeierzeit, "einer empfindsamen, emotionalen Epoche, in der man sich schwülstig ausgedrückt hat, was heute oft falsch verstanden wird".

Besonders beliebte Tanzstücke griff der Komponist immer wieder auf und variierte sie, was Walburga Litschauer ebenfalls aufarbeitete und in ein Melodienregister goss. Sie organisiert für ihr Leben gerne, vom Abend mit originalgetreuer Tanzgruppe bis zum internationalen Schubert-Kongress, ist Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Musik und stellvertretende Vorsitzende des Carinthischen Sommers. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe, 19.3.2008)