"Aufbruch wohin? Wien 1970/1971" hieß dieses Bild der Ausstellung "Baby an Bord" im Wien Museum, einen Aufbruch der Familienforschung forderte man auch bei einer Wissenschaftstagung in Wien.
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Wo hatten die FamilienforscherInnen nur ihre Kinder gelassen? Es gibt nicht viele Kongresse, die Kinderbetreuung anbieten, doch der europäische Fachkongress an der Uni Wien tat es. Nur wollte keine/r das Angebot annehmen. "Vielfalt der europäischen Familie" lautete die Überschrift der mit 350 TeilnehmerInnen über den Erwartungen seiner Veranstalter, darunter federführend das Österreichische Institut für Familienforschung, besetzten Tagung. Hat sie es geschafft, diese Vielfalt abzubilden?

Zumindest der in Aachen lehrenden Soziologin Heather Hofmeister kam einiges zu kurz. Um nichteheliche Lebensgemeinschaften oder die Einbindung der Großeltern ging es nur am Rande, um Geschwisterverhältnisse und sexuelle Aspekte fast gar nicht. In ihrer amerikanischen Heimat widme sich die Familienforschung allen auf Dauer angelegten Beziehungen. Dagegen müssen in Europa stets Eltern und Kinder im Spiel sein. Hofmeister vermutet hier starke Einflüsse von Kirchen und Politik auf die Forschungsagenden.

Laut Norbert Schneider, der das Programm mitverantwortet hat, war es nicht der Anspruch, alle Lebensformen zu thematisieren, so reizvoll er dies gefunden hätte, sondern sich an den bestehenden Leitbildern abzuarbeiten. Dabei dominiere in Mitteleuropa ganz klar die Kernfamilie. Dass die Themen der Familienforschung konservativ seien, räumte der Mainzer im Gespräch mit dem STANDARD ein. Die wichtigsten Geldgeber seien Ministerien und Kirchen, die auf die Bewahrung der klassischen Kernfamilie setzen und Vielfalt suspekt finden. Selbst vermeidet er die Bezeichnung Familiensoziologe und spricht lieber von der "Soziologie der Lebensformen und Lebensführung".

Der Familienpolitik hält Schneider vor, dass sie es lange versäumt habe, Ziele zu setzen. Das könne Geburtenförderung sein wie in Frankreich oder die Maximierung von Wahlfreiheit wie in Skandinavien. Bis vor wenigen Jahren waren die Familien in Deutschland Spielball der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Seit der vorigen Familienministerin Renate Schmidt ist das nicht mehr so.

Ihre Nachfolgerin Ursula von der Leyen stellte sich zusammen mit ihrer Wiener Amtskollegin zur Diskussion ein. Gewandt erläuterte die deutsche Politikerin, wie, ausgehend von Forschungsergebnissen, vor allem Studien skandinavischer Modelle, Maßnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf umgesetzt wurden. Umfragedaten verdeutlichen, wie schwierig familiäre und berufliche Ideale unter einen Hut zu bringen sind. In den meisten europäischen Ländern meint etwas mehr als die Hälfte der Frauen, ein Kleinkind leide, wenn seine Mutter arbeiten geht. Zugleich stimmen drei von vier Frauen der Aussage zu, der Beruf sei das beste Mittel für die Unabhängigkeit der Frau. Wer die jeweiligen Prozentsätze addiert, endet mit Ausnahme Norwegens überall deutlich über hundert Prozent.

EU-Studie über Familie

Schwer kompatibel erschienen auch die beiden Titel, die auf dem Büchertisch vor dem Saal derweil Seite an Seite lagen: Ein Sammelband, den von der Leyen mit namhaften Familienexperten herausgegeben hat, und eine Rezeptsammlung für Schweinsbraten. Drinnen stellte Andrea Kdolsky der Familienforschung Aufträge in Aussicht. Immerhin einige Hinweise brachte die Konferenz. So stellte Norbert Schneider eine in sechs EU-Ländern durchgeführte Studie "Job Mobility and Family Lives" vor, der zufolge aus beruflichen Gründen mobile Menschen weder besser verdienen noch bessere Aufstiegschancen haben und daher das Kinderkriegen aufschieben oder ganz darauf verzichten.

Wolfgang Lutz erläuterte, warum Länder mit seit langem niedrigen Geburtenraten wie Österreich und Deutschland schwer eine Wende schaffen können. Wegen der Kinderarmut haben Erwachsene unter vierzig kaum noch Kontakt mit kleinen Kindern und entsprechend weniger Anregung, selbst Familien zu gründen, so der Leiter des Instituts für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Ganz am Ende wurde dann doch noch die Kurve vom Kindermangel zu den Bedürfnissen der Kleinsten genommen. Lieselotte Ahnert lieferte Argumente, warum die Beziehung zwischen Kind und Mutter gestärkt wird, wenn Babys und Kleinkinder weitere Bezugspersonen haben, die ihre Mütter entlasten. Hoffnung gibt, dass die international geschätzte Entwicklungspsychologin in Berufungsverhandlungen mit der Uni Wien steht. Erheblich weiter als in der Familienforschung liegt Österreich nämlich in der Frühpädagogik zurück. (Stefan Löffler/DER STANDARD, Printausgabe 18.06.2008)