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Drei Stipendiatinnen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften arbeiten an einem interdisziplinären Forschungsprojekt über mögliche Zusammenhänge von weiblicher Genitalverstümmelung/Beschneidung und ästhetischer plastischer Chirurgie.
Die Politikwissenschafterin Sara Paloni untersucht in London, wie kosmetische Genitalchirurgie und Genitalverstümmelung auf politischer und sozialer Ebene diskutiert werden. Beate Hausbichler sprach mit ihr für dieStandard.at unter anderem über etwaige Vergleiche der beiden Praktiken und wie durch den weiblichen Körper über kulturelle Identität verhandelt wird.
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dieStandard.at: "Die in wissenschaftlichen Kontexten diskutierte Vergleichbarkeit von weiblicher Genitalverstümmelung (female genital mutilation: FGM) und Ästhetischer Plastischer Chirurgie (ÄPC) war der Anstoß für das vorliegende Forschungsvorhaben" - heißt es in Ihrer Projektbeschreibung. Ist es nicht problematisch, freiwillige chirurgische Eingriffe mit Genitalverstümmelungen zu vergleichen?
Sara Paloni: Der Vergleich ist problematisch, was wir eben mit unserem Projekt auch ansprechen wollen. Für mich stellen sich zwei Fragen: Können wir diese beiden Praktiken vergleichen und vor allem: Was macht der Vergleich hinsichtlich einer politischen Praxis der Bekämpfung von Gewalt an Frauen für einen Sinn?
Aber in meiner Arbeit geht es weniger um einen Vergleich der beiden Praktiken selbst, sondern um die Frage, wie Wahl und Zwang durch die Repräsentationen von FGM diskutiert werden.
Kopftuch versus String-Tanga?
In der feministisch-wissenschaftlichen Literatur finden sich aber zunehmend Vergleiche zwischen sogenannten kulturellen und körpermanipulativen Praktiken. Zum Beispiel wird das Tragen des Kopftuches mit dem String-Tanga verglichen, oder allgemeiner, die "Verschleierung" mit Anorexie. Vor allem seit kosmetische Genitalchirurgie immer öfter nachgefragt wird, gibt es viele Ansätze FGM und ÄPC zu vergleichen.
Der Ausgangspunkt der Analyse ist aber immer derselbe: Warum und wie wird über Frauen und den weiblichen Körper Macht und kulturelle Identität verhandelt?
dieStandard.at: Was soll durch Vergleiche erreicht werden?
Sara Paloni: Die Gründe für die Vergleiche zwischen FGM und ÄPC sind unterschiedlich. Zum einen wird damit versucht, bestehende Vorstellungen, was gewählt und was erzwungen ist, zu demontieren. Zentral für viele AutorInnen ist, die Autonomie der Frauen mit ihren Entscheidungen hervorzuheben. Zum anderen will damit Kritik an einem hegemonialen Diskurs geübt werden, der westliche Körperpraktiken als unproblematisch - weil freiwillig - und nicht-westliche Körperpraktiken als Ausdruck patriarchaler Unterdrückung schlecht hin repräsentiert.
Komplexe Phänomene
FGM, wie auch kosmetische Chirurgie, sind sehr komplexe Phänomene, die in ihrem sozial-kulturellen Kontext gesehen werden müssen.
Beispielsweise wurde bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts weibliche Beschneidung (vor allem die Entfernung der Klitoris) in England und Deutschland praktiziert, um Hysterie und Masturbation "zu heilen". FGM, wie wir es heute kennen, wird auch zur Einschränkung der sexuellen Lust der Frauen praktiziert. Beschnittene Mädchen und Frauen werden als schöner empfunden und sie gelten in der jeweiligen Gesellschaft als "normal". Mir persönlich fällt es schwer, die Brutalität dieser Praktik in Frage zu stellen, aber Tatsache ist, dass viele beschnittene Frauen sich dagegen verwehren als verstümmelt bezeichnet zu werden.
Was die Praktiken nicht vergleichbar macht ist, dass FGM hauptsächlich bei Mädchen durchgeführt wird, die keine Einwilligung geben können. Interessant finde ich an dieser Stelle den Vergleich zwischen FGM und der operativen Vereindeutigung von den Genitalien bei Intersex-Kindern (Anm.: Kinder, die mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren werden) in westlich-liberalen Ländern. Hier gibt es auch keine Einwilligung der betroffenen Kinder, aber die Eingriffe werden ganz selbstverständlich vollzogen.
dieStandard.at: Was wird bei FGM genau gemacht, und was bei ÄPCs?
Sara Paloni: Die Weltgesundheitsorganisation führte 1997 eine Typisierung der einzelnen Beschneidungsformen ein, die eine grobe Unterteilung vorsieht. Diese Typisierung reicht von der vollständigen Entfernung der Klitorisvorhaut mit oder ohne teilweiser oder vollständiger Entfernung der Klitoris, der Entfernung der inneren Schamlippen mit anschließendem Vernähen der äußeren Schamlippen bis zu nicht-permanenten Eingriffen an den weiblichen Genitalien, wie eine Kauterisierung des Gewebes, Abschaben oder Einschneiden von Vaginalgewebe, das Einführen von Kräutern zum Verengen der Vagina oder die symbolische Gewinnung einiger Blutstropfen.
Bei kosmetischen Operationen der weiblichen Genitalien werden in den häufigsten Fällen die kleinen Schamlippen verkürzt, wenn sie über die großen Schamlippen hinausragen. Um das sexuelle Lustempfinden zu steigern, gibt es die Möglichkeit der vaginalen Verengung. Interessanter Weise wird die kosmetische Genitalchirurgie auch als "rekonstruktive Chirurgie" bezeichnet. Die Rekonstruktion impliziert hier, dass die Genitalien zu etwas Normalem gemacht werden sollen. Wenn man sich Vorher-Nachher-Fotos von operierten Frauen ansieht, zeigt sich, dass das Ideal weiblicher Genitalien darin besteht, möglichst jung auszusehen.
dieStandard.at: Warum untersuchen Sie die Diskurse von Gewalt an Frauen in Bezug auf weibliche Genitalverstümmelung und kosmetische Chirurgie gerade in London? Treffen dort am ehesten FGM und ÄPC aufeinander?
Sara Paloni: Ja, das tun sie. Zum einen, weil viele Menschen aus FGM praktizierenden Ländern - zum Beispiel Somalia und Sudan - in London leben und weil London auch eine Stadt ist, in der kosmetische Chirurgie zum Alltag gehört. Zum anderen drückt sich das in der gesetzlichen Regulierung von FGM aus.
Gesetz gegen FGM
Großbritannien hat ein eigenes Gesetz gegen FGM, im Gegensatz zu Österreich oder Frankreich, wo FGM im Strafrecht unter Körperverletzung geregelt ist. In dem FGM-Gesetz wird festgehalten, dass Operationen an den weiblichen Genitalien aus traditionellen oder rituellen Gründen verboten, aber aus Gründen der physischen und mentalen Gesundheit erlaubt sind. Operationen an den weiblichen Genitalien sind also unter anderem erlaubt, wenn eine Frau ihre Genitalien als hässlich empfindet, oder wenn sie ihr sexuelles Lustempfinden steigern und eine vaginale Verengung vornehmen lassen will.
Meine Arbeit in London wird durch die disziplinären Hintergründe meiner Kolleginnen ergänzt. Elena Jirovsky ist in Afrika, in Burkina Faso, und macht eine ethnographische Studie zur gegenwärtigen Relevanz von weiblicher Beschneidung. Daniela Mitrovic ist Psychologin und arbeitet in Rio de Janeiro über die psychologischen Aspekte von Schönheitschirurgie.
dieStandard.at: Welche Fragen haben sich in Ihrer Arbeit bisher ergeben?
Sara Paloni: Ich führe hier in London unter anderem Interviews mit PolitikerInnen, NGO-MitarbeiterInnen, VertreterInnen praktizierender Communities, Gesundheitspersonal, Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern und Kinderbetreuungseinrichtungen durch. Die Ergebnisse der ersten Interviews führten mich bereits zu meiner Frage nach den Formen von Gewalt, die bezüglich FGM und kosmetischer Chirurgie diskutiert werden. Es wurde eine Unsicherheit deutlich, als welche Form der Gewalt FGM begriffen werden soll. Abgesehen von der Tatsache, dass in FGM-praktizierenden Communitites die Beschneidung nicht als Gewaltakt begriffen wird, stellt sich die Frage nach der sinnvollsten Form der Intervention.
Intervention
Ganz allgemein wird auch darüber diskutiert, wie ein westlich-liberaler Staat mit dieser Praktik umgehen soll. Handelt es sich im Hinblick auf FGM um Gewalt an Frauen, Kindesmißbrauch oder haben wir es mit häuslicher Gewalt zu tun?
Je nach dem richten sich politische Maßnahmen und Intervention durch Polizei und SozialarbeiterInnen. Problematisch ist, dass auf politischer Ebene und in den Medien FGM - zusammen mit Zwangsehen, Ehrenmorden und Kopftuch/Hijab/Burka - als kulturell begründete Gewalt repräsentiert wird. Die Rolle von Geschlecht, sozialer Position und die Machtverhältnisse zwischen Mehrheitsgesellschaften und so genannten Minderheiten wird dadurch allerdings negiert. Zwischen Gewalterfahrungen von Frauen aus kulturellen Minderheiten und jenen von Frauen aus der Mehrheitsgesellschaft wird auf eine fragwürdige Weise unterschieden. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 25.6.2008)