London - Heute hat sie Angst, dass sie nicht mehr wert sei, jemals Mutter zu sein. Mit 14 ließ Luise Kelly zum ersten Mal abtreiben. Drei weitere Abtreibungen folgten im Jahrestakt. Jetzt fühlt sie sich schuldig, hat Selbstzweifel. Über Fälle wie diesen berichten britische Medien derzeit häufig. Denn in keinem anderen westeuropäischen Land werden so viele Teenager schwanger. Und rund die Hälfte der Mädchen treibt ab.

Mit ungewöhnlichen - und auch umstrittenen - Maßnahmen wird jetzt gegen Teenagerschwangerschaften und den Abtreibungsrekord gekämpft. So verteilen neuerdings einige Schulen Verhütungsmittel und die "Pille danach" schon an Elfjährige, während sich die Regierung besseren Aufklärungsunterricht wünscht. Eine Online-Apotheke versendet sogar die Verhütungspille ohne großen Aufwand: Die Kundinnen füllen einen Fragebogen aus, und der Cyber-Arzt verschreibt das Medikament.

Mehr als 4000 Mädchen, die jünger als 16 sind, ließen nach Angaben des Gesundheitsministeriums im vergangenen Jahr in England und Wales abtreiben. Das sind zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Bei den unter 14-Jährigen stieg die Zahl sogar um 21 Prozent auf 163 Abtreibungen. "Wir haben nun Kinder, die Babys abtreiben. Das Problem wird von Jahr zu Jahr größer", sagt die konservative britische Abgeordnete Nadine Dorries.

Seit zehn Jahren investiert die Regierung mehrere Millionen Pfund in Aufklärungskampagnen, verteilt Kondome in Schulen und vor Schwimmbädern. Berichte über die Ausgabe der "Pille danach" an Schulen an elfjährige Mädchen hatten für Empörung bei den Eltern gesorgt. "Natürlich wünschen wir uns nicht, dass Kinder Sex haben. Aber wir müssen sie dennoch vor ungewollten Schwangerschaften schützen", verteidigt Gill Frances von der Arbeitsgruppe gegen Teenagerschwangerschaften die Maßnahme.

Die Heranwachsenden selbst wünschen sich vor allem besseren Aufklärungsunterricht, wie eine Studie des Jugendparlaments zeigt. Im vergangenen Jahr wurden 22.000 Teenager zu ihrer Einschätzung des Aufklärungsunterrichts befragt. 40 Prozent beurteilten die Schulstunden als "schlecht" oder "sehr schlecht". In den Niederlanden, dem europäischen Land mit den wenigsten Teenagerschwangerschaften, wird Schülern der richtige Umgang mit einem Kondom vorgeführt. An einigen britischen Schulen spreche man hingegen von Sex als "ganz besonderer Umarmung". Britische Eltern ziehen sich gern in dem Glauben aus der Verantwortung, dass Kinder durch Medien und Schule "schon alles wissen". (Sonja Broy, DER STANDARD, Print, 30.6.2008)