Sarstedt - Seit fast zwei Jahrzehnten stochert Hobby-Archäologe Karl-Werner Frangenberg jeden Samstag in einer Kiesgrube nahe des niedersächsischen Sarstedt herum. Meist geht er mit leeren Händen nach Hause. Einmal sorgte er für Aufsehen, als er die Schädelteile dreier Neandertaler entdeckte. Nun scheint überhaupt eine wissenschaftliche Sensation vorzuliegen, wie eine aktuelle Analyse ergeben hat: Frangenberg und seine Frau haben im Leinetal womöglich die bisher ältesten Urmenschen-Knochen in Deutschland entdeckt.

Der Tübinger Anthropologe Alfred Czarnetzki bestimmte das Alter der beiden gefundenen Schädelfragmente - ein Schläfenbein und das Stück eines Scheitelbeins - auf "mindestens 700.000 Jahre" und ordnete sie dem Pithecanthropus erectus zu. Die Datierung von mehreren 100.000 Jahren alten Fossilien gilt in der Fachwelt allerdings als unsicher.

Bisheriger Rekord

Rekordhalter als ältester Menschenknochenfund in Deutschland ist bisher der 1907 entdeckte Unterkiefer von Mauer. Aufgrund seines Entdeckungsorts bei Heidelberg wurde der 600.000 Jahre alte Urmensch, von dem der Kiefer stammte, Homo heidelbergensis genannt.

Die Übereinstimmung des neuen Fundes mit asiatischen Funden, vor allem aus Indonesien, sei frappierend, fast könnten es Zwillinge sein, so Czarnetzki. Dies lege nahe, dass Europa von Asien aus besiedelt wurde. "Die Theorie, Afrika sei die Wiege der Menschheit, wird von immer mehr Fachleuten infrage gestellt", erklärte der Anthropologe. Seine Untersuchung der Schädelteile von Sarstedt wird demnächst im Fachjournal "Journal of Human Evolution" veröffentlicht.

Ausstellung

Ein Auszug erschien bereits im Katalog zur viel beachteten Ausstellung "Die Schöninger Speere - Mensch und Jagd vor 400.000 Jahren", die noch bis zum 27. Juli im Landesmuseum Hannover zu sehen ist. In der Schau werden auch die für Laien äußerlich eher unspektakulären Schädelteile präsentiert. Für Fossilienjäger Frangenberg sind sie von unschätzbarem Wert. Er bezeichnet den 13. Juli 2002, als er das erste Stück entdeckte, als Glückstag: "Erst fanden wir in der Nähe des Flusses viel tertiäres Holz und Bernstein. Da wussten wir: Jetzt sind wir in sehr alten Schichten." Beim Anblick des Knochens sei ihm sofort klar gewesen: "Das ist Mensch."

Das Engagement einiger Sammler, die in der Kiesgrube stöbern und mit dem Landesamt für Denkmalpflege zusammenarbeiten, sei sehr verdienstvoll, betont Steinzeit-Archäologe Utz Böhner. Unzählige Faustkeile, Mammut- und Wollnashornknochen sowie ein Unterkiefer eines Flusspferdes traten im Leinetal zutage. Außerdem brachten die Bagger bei der Kiesgewinnung ein seltenes "Choppingtool", ein zweiseitig bearbeitetes Steinwerkzeug, an die Oberfläche, das aus der frühesten Besiedlung stammt. Wahrscheinlich nutzten die Urmenschen die aufgeheizten Kiesbänke als Ausgangspunkt für die Jagd in der eiszeitlichen Steppe, vermutet Böhner.

Forschungsprojekt

Ein dreijähriges Forschungsprojekt soll von 2009 an die Landschaft des Leinetals im Eiszeitalter rekonstruieren und Auskunft über das Alter der Bodenschichten geben. Dazu planen Geologen von der Universität Hannover unter der Leitung von Jutta Winsemann eine Kernbohrung. Sie erhoffen sich, das Alter von lichtabgeschlossenen Sandablagerungen mit Hilfe neuer Methoden genau zu bestimmen. (APA/dpa)