Es waren zwei kleine Wörter. Mit großen Folgen. "Es reicht." Dass Österreich wieder einmal einen neuen Nationalrat wählen muss, ist die augenscheinlichste Folge. Dass der Restwert der großen Koalition nach nur eineinhalb Jahren gegen null geschrumpft ist, ist wohl die bemerkenswerteste „Leistung" von Rot-Schwarz. Denn sonst hat sie ja "nichts weitergebracht", bekannte sogar Umweltminister und ÖVP-Chef in Lauerstellung Josef Pröll freimütig im Standard-Interview.
Schlecht für das Land, schlechter für die Demokratie. Denn die Kollateralschäden, die durch die Art der Politik in den vergangenen 18 Monaten entstanden sind, haben gefährliche Haarrisse in der Demokratie hinterlassen. Der Politik(er)frust in der Bevölkerung ist groß wie nie. Ein politisches Unbehagen ist in die Bevölkerung eingesickert, auf das die Parteien - ausnahmslos alle - noch keine Antwort haben.
Die Antworten der Regierungsparteien sind Scheinlösungen. Die eine, die SPÖ, verschachert sich selbst an ein Boulevardmedium und liefert damit nur einen Beweis für das, was der britische Politikwissenschafter Colin Crouch „Postdemokratie" nennt. "Leserbriefdichter"-Politiker verkörpern die vorsätzliche Entwertung des Parlamentarismus, des Kerns der Demokratie.
Wozu dann überhaupt noch wählen, wenn die Demokratie im Parlament nichts zählt? Die Flucht in das Allheilmittel
"Volksabstimmung" wird die EU-Skepsis nicht auflösen. Notwendig wäre etwas anderes, das seit dem EU-Beitritt 1994 de facto inexistent ist: echte politische Kommunikation mit den Bürgern. Ja oder Nein sagen dürfen ist noch keine gelungene Kommunikation.
Die ÖVP fährt das Gegenkonzept, das genauso pro_blematisch ist. Wählen, neu wählen, wieder wählen, Wähler-„Fehler" wegwählen etc. Wie es ihr gefällt. Aber Wahlen, wie sie die Volkspartei am liebsten nur noch freihändig ansetzt, sind lediglich die Form der Legitimation in einer repräsentativen Demokratie. Politische Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern ersetzen sie nicht. Auch da hat die große Koalition groß versagt.
Sie war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie die Menschen nicht als Bürgerinnen und Bürger, auf die es ankommt, angesprochen, sondern sie zu Zuschauern einer Krampfregierung degradiert hat. Mit politischem Personal, das alles getan hat, um diesen Beruf zu entwerten. Tatsächlich ist nicht nur das Image der EU, sondern auch das der Politik(er) im Keller. Und da wird es gefährlich für eine Demokratie.
Denn die Republik der "Angefressenen" ist der ideale Marktplatz für Demagogen und Populisten ohne Programm, aber mit viel Bahö. Sie sind es, die denen, die unter akuter "Angefressenheit" (Josef Pühringer) leiden, zu dem verhelfen, was ihnen in dem Moment am ehesten Linderung verschafft: kotzen. Die bulimische Republik kotzt ihren Frust aus, um den Demokratie-Repräsentanten eins reinzuwürgen. Nix wie weg, Flucht an den Rand. Die Mitte franst aus, den „Volksparteien" kommt das Volk abhanden.
Das wäre per se noch kein Drama. Moderne Gesellschaften differenzieren sich immer mehr aus, die Interessenlagen werden vielfältiger. Aber eine frustrierte Demokratie entzieht sich langfristig selbst den Boden, wenn sie den Enttäuschten nur noch anbietet, dass sie, wenn die Politik nicht mehr weiterweiß oder -will, wieder einmal „wählen" oder „volksabstimmen" dürfen.
Auch wenn es pathetisch klingt: Politik muss auch Sinnangebote machen, die nähren, anstatt angewidert ausgekotzt zu werden. Das wird vielleicht die größte Aufgabe der nächsten Regierung: den Menschen wieder politische „Nahrung" zu geben, anstatt ihnen Frust im Überfluss hineinzustopfen. (Lisa Nimmervoll/DER STANDARD Printausgabe, 21. Juli 2008)