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Eine expressive Umsetzung von Shakespeares "Hamlet": Lars Erdinger.

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An das Flair des Palastes in Avignon kommt die Werkshalle Pereios nicht heran. Und das Theatervolk überflutet trotz des laufenden Hellenic Festivals in Athen und Epidaurus auch nicht die Stadt, so wie es in Frankreich zum Markenzeichen des Theaterfestivals gehört. Doch stehen dem gut vernetzten Festspielchef Yorgos Loukos für seinen Mix aus Heimischem und Internationalem auch das Amphitheater in Epidaurus und das Herodeion im Schatten der Akropolis zur Verfügung, wo heuer etwa Ricardo Muti dirigierte.

Darüber, dass er in Athen nur eine ziemlich triste Halle abbekommen hat, wird sich Regisseur Thomas Ostermeier hinwegtrösten, denn bevor er seinen Hamlet in Berlin an der Schaubühne zeigt, wird er auch in Avignon gastiert haben. Beim Einstand im Theaterursprungsland verwies die Riesentafel hinter einem transparenten Vorhang ebenso unmittelbar gleich auf das Lebensdilemma des Dänenprinzen wie ein noch nicht ins offene Grab versenkter Sarg ganz vorn, am Rande einer mit Erde bedeckten Fläche, auf den Mord am Vater. Das halbe Dutzend Darsteller, unter die das Hamletpersonal aufgeteilt wird, ist da schon mit sich selbst beschäftigt, bevor es mit einem furiosen Auftakt wirklich losgeht. Gleich mit einem Häppchen aus "Sein oder Nichtsein".

Und das in der von Marius von Mayenburg besorgten neuen Übersetzung, die jedes Zitatenhighlight des vertrauten Textes mehr oder weniger ins Gegenwärtige verbiegt und sich damit vom Zauber der Poesie und des Vertrauten entfernt. Dazu gibt es das selbstgefilmte Gesicht von Hamlet und einen Beerdigungsalbtraum schlechthin: der eine Totengräber mit einem eskalierenden Slapstick, bei dem erst der Sarg und dann er selbst in die Grube fallen und bei dem es dann natürlich auch noch zu regnen anfängt. Aus dem Schlauch, als selbstgemachter Effekt, wie noch oft an diesem Abend. Dieses Auftaktbild macht gewaltigen Eindruck, auch, weil es sich unversehens in die etwas mafios wirkende Hochzeitstafel von Claudius (Urs Jucker) und Gertrud (Judith Rosmair) verwandelt.

Dazu fährt die Tafel auf einer von unten erleuchteten Transportfläche nach vorn. Bis dicht an den aufgeschütteten Erdhügel über dem Grab von Hamlets Vater. Zu dessen Geist wird das von Hamlet mit wackelnder Hand gefilmte Abbild von Claudius. So triftig wie in diesem Fall freilich erschließt sich nicht jede Doppelrolle. Dass Judith Rosmair zwischen Königin Gertrud und Ophelia zu wechseln hat, wird mehr zur logistischen Herausforderung und einer (glänzend bewältigten) Probe ihrer Verwandlungskunst, als dass es psychologische Doppelbödigkeit zu entfalten vermag. Lars Erdinger ist ein exzessiver, melancholischer Dänenprinz mit Falstaff-Bauch, den er nur einmal abgelegt.

So wird man in einem gegen Ende ausfransenden, unterhaltsamen, wenn auch nicht auf neue Einsichten erpichten Stück Theater zum Zeugen, wie zu einem meist passenden akustischen und optischen Soundtrack ein Mann den Wahnsinn zunehmend exzessiv spielt, dem er dann tatsächlich auch zu verfallen scheint. Und zu "Der Rest ist Schweigen" ist dann auch dem Neuübersetzer, zum Glück, nichts Neues eingefallen. Das Publikum war zufrieden. (Joachim Lange aus Athen, DER STANDARD - Printausgabe, 21.07.2008)